Otfried Preußler - Krabat
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Kein Honiglecken
Für Krabat begann eine harte Zeit, der Meister hetzte ihn unbarmherzig zur Arbeit. »Wo steckst du, Krabat?
Da sind ein paar Säcke Korn auf den Speicher zu schleppen!«, und: »Krabat, komm her! Das Getreide da, auf
dem Schüttboden - schaufle es um, aber richtig von Grund auf, dass es nicht auskeimt!«, oder: »Das Mehl,
das du gestern gesiebt hast, Krabat, ist voller Spelzen! Du wirst es dir nach dem Abendbrot hernehmen und
bevor es nicht ohne Makel ist, gehst du mir nicht zu Bett!«
Die Mühle im Koselbruch mahlte Tag für Tag, werktags und sonntags, vom frühen Morgen an bis zum
Einbruch der Dunkelheit. Nur einmal die Woche, am Freitag, machten die Mühlknappen früher Feierabend als
sonst, und samstags begannen sie mit der Arbeit zwei Stunden später.
Wenn Krabat nicht Korn schleppte oder Mehl siebte, musste er Holz spalten, Schnee räumen, Wasser zur
Küche tragen, die Pferde striegeln, Mist aus dem Kuhstall karren - kurzum, es gab immer genug zu tun für ihn;
und des Abends, wenn er dann auf dem Strohsack lag, war er wie gerädert. Das Kreuz tat ihm weh, die Haut
an den Schultern war durchgescheuert, Arme und Beine schmerzten ihn, dass es kaum zu ertragen war.
Krabat bewunderte seine Mitgesellen. Das schwere Tagewerk auf der Mühle schien denen nichts
auszumachen, keiner ermüdete, keiner klagte, keiner geriet bei der Arbeit in Schweiß oder außer Atem.
Eines Morgens war Krabat damit beschäftigt, den Zugang zum Brunnen freizuschaufeln. Vergangene Nacht
über hatte es unablässig geschneit, der Wind hatte Wege und Stege zugeweht. Krabat musste die Zähne
zusammenbeißen, bei jedem Schaufelwurf spürte er einen stechenden Schmerz im Kreuz. Da kam Tonda zu
ihm heraus. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie allein waren, legte er ihm die Hand auf die Schulter.
»Nicht aufgeben, Krabat ...«
Da war es dem Jungen, als fließe ihm neue Kraft zu. Die Schmerzen waren wie weggeblasen, er packte die
Schaufel und hätte mit Feuereifer drauflosgeschippt, wäre Tonda ihm nicht in den Arm gefallen.
»Der Meister darf es nicht merken«, bat er ihn, »und auch Lyschko nicht!«
Lyschko, ein zaundürrer, langer Bursche mit spitzer Nase und scheelem Blick, hatte Krabat vom ersten Tag
an nicht übermäßig gefallen: ein Schnüffler, so schien es, ein Ohrenspitzer und Um-die-Ecken-Schleicher, vor
dem man sich keinen Augenblick sicher wusste.
»Ist gut«, sagte Krabat und gab sich beim Weiterschaufeln den Anschein, als ob es ihn große Mühe und
Überwindung kostete. Bald darauf kam, wie zufällig, Lyschko des Weges.
»Na, Krabat, wie schmeckt die Arbeit?«
»Wie wird sie schon schmecken!«, knurrte der Junge. »Friss einen Hundedreck, Lyschko - dann weißt du es.«
Von nun an kam Tonda öfters zu Krabat und legte ihm heimlich die Hand auf. Dann spürte der Junge, wie
frische Kraft ihn durchdrang und die Arbeit, so schwer sie auch sein mochte, ging ihm für eine Weile leicht von
der Hand.
Der Meister und Lyschko erfuhren von alledem nichts - und ebenso wenig die anderen Müllerburschen: Nicht
Michal und Merten, die beiden Vettern, von denen der eine so bärenstark war und gutmütig wie der andere;
nicht Andrusch, der pockennarbige Spaßvogel und nicht Hanzo, den sie den Bullen nannten mit seinem
Stiernacken und dem kurzgeschorenen Haar; auch Petar nicht, der sich am Feierabend mit Löffelschnitzen
die Zeit vertrieb und nicht Staschko, der Tausendsassa, der flink wie ein Wiesel war und geschickt wie der
kleine Affe, den Krabat vor Jahren in Königswartha auf dem Jahrmarkt bestaunt hatte. Kito, der immer mit
einer Miene herumlief, als liege ihm ein Pfund Schusternägel im Magen und Kubo, der Schweigsame, merkten
auch nichts davon - und erst recht nicht, versteht sich, der dumme Juro.
Juro, ein stämmiger Bursche mit kurzen Beinen und flachem, von Sommersprossen gesprenkeltem
Mondgesicht, war nächst Tonda am längsten im Dienst hier. Zum Müllern taugte er wenig, da er, wie
Andrusch zu spötteln pflegte, »zu dumm war, um Kleie und Mehl auseinander zu halten«; und dass er nicht
längst aus Versehen ins Mahlwerk gestolpert und zwischen die Steine geraten sei: Das verdanke er nur dem
Umstand, dass Dummheit und Glück ja mit Vorliebe Hand in Hand gingen.