Daldrup_Diedrichs_2025_Selbstverwaltung_und_Sozialismus

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Daldrup, Maria; Diedrichs, Irmela
Selbstverwaltung und Sozialismus. Erziehungsanspruch und
Erziehungspraxis der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde im
Mikrokosmos Kinderrepublik
Engelmann, Christina [Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik.
Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte. Bad
Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 139-165
Quellenangabe/ Reference:
Daldrup, Maria; Diedrichs, Irmela: Selbstverwaltung und Sozialismus. Erziehungsanspruch und
Erziehungspraxis der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde im Mikrokosmos Kinderrepublik - In:
Engelmann, Christina [Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik.
Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte.
Bad Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 139-165 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-328954 -
DOI: 10.25656/01:32895; 10.35468/6162-07
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-328954
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Maria Daldrup und Irmela Diedrichs
Selbstverwaltung und Sozialismus:
Erziehungsanspruch und Erziehungspraxis der
Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde
im Mikrokosmos Kinderrepublik
1 Einleitung
Die Kinderrepublik Seekamp 1927 war nicht nur die erste, sondern zugleich
die bekannteste Kinderrepublik der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreun-
de (RAG). Dies lag nicht nur an den über 2000 jungen Teilnehmer:innen aus
Deutschland, Österreich, Dänemark und der Tschechoslowakei, die vier Wo-
chen ihrer Sommerferien in diesem sozialistisch-selbstverwalteten Zeltlager auf
Gut Seekamp bei Kiel verbrachten, sondern v. a. an ihrer öentlichkeitswirksa-
men Repräsentation: Zum einen erinnerte 1928 „Die rote Kinderrepublik“ (siehe
Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde, 1928, Abb. 1), zusammengestellt
von Andreas Gayk, damaliger Landesvorsitzender der Kinderfreunde in Schleswig
Holstein und Lagerobmann der Kinderrepublik Seekamp, an die nur ein Jahr
zurückliegende Kinderrepublik. Zum anderen berichteten schon während des
Zeltlagers zahlreiche sozialdemokratische Zeitungen darüber.1 Zusammen mit
Nordmark Film produzierte die RAG 1927 den knapp 38-minütigen, schwarz-
weißen Stummlm „Kinderrepublik Seekamp“ (Weinberger, o. J.; Schwitanski,
2012). Darüber hinaus nden sich zahlreiche weitere historische Quellen zur
Kinderrepublik Seekamp, wie beispielsweise Fotograen2 aus dem Nachlass von
Hans Weinberger (1898-1976),3 der als studierter Sozialfürsorger seit 1927 und
bis zu ihrem Verbot Geschäftsführer der RAG war. Insbesondere die pädagogi-
schen Texte von Kurt Löwenstein (1885-1939) erweitern das Quellenspektrum
nochmals. Löwenstein (siehe Abb. 2) war nicht nur Lagerpräsident der Kinderre-
publik Seekamp, sondern auch seit 1924 Vorsitzender der RAG. Als Sohn einer
1 Konvolut mit Presseberichten im Archiv der Arbeiterjugendbewegung (AAJB), PB Weinberger,
Hans 1.
2 Fotograen waren Ende der 1920er-Jahre in der Arbeiter:innenjugend durchaus verbreitet: Es gab
Arbeiter-Foto-Gilden, auch wurde in den Verbandszeitschriften nach mehr Fotograen gebeten zur
kulturellen Erziehung und zur politischen Aufklärung (Schwitanski, 2016).
3 Siehe: AAJB, PB Weinberger, Hans.
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jüdischen Familie hatte er zunächst am Rabbiner-Seminar in Halberstadt und
Berlin studiert, brach aber diese theologischen Studien ab und wechselte zu ei-
nem Philosophie- und Pädagogik-Studium, das er mit einer Dissertation über
„Jean Marie Guyaus pädagogische Anschauungen“ 1910 in Erlangen abschloss.
Politisiert durch den Ersten Weltkrieg war er ab 1920 und bis 1933 Reichstags-
abgeordneter der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion und als Bildungspoli-
tiker und Schulreformer in Berlin-Neukölln aktiv (Schweigmann-Greve, 2016).
Löwensteins zentrales pädagogisches Werk war „Das Kind als Träger der werden-
den Gesellschaft“ (1924). Aber es sind gerade die zahlreichen Beiträge in den
Zeitschriften der Arbeiter:innenjugend, die ihn zu einem führenden eoretiker
der Kinderfreundebewegung machten. All diese Quellen erlauben eine erste An-
näherung an die Kinderrepublik Seekamp als Mikrokosmos für ein demokrati-
sches Experiment in der Weimarer Republik und zugleich großem Zeltlager für
Kinder aus dem Arbeitermilieu, die vielleicht zum ersten Mal fe
rnab der städti-
schen Arbeitersiedlung Urlaub am Meer verbringen durften.
Abb. 1: Cover des Buches
Die rote Kinderrepublik.
Quelle: Reichsarbeits-
gemeinschaft der Kinder-
freunde, 1928.
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Der historische Kontext der pädagogischen eorie und Praxis der 1923 – un-
ter Beteiligung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB), der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der Arbeiterwohlfahrt, dem
Verband sozialdemokratischer Lehrer und Lehrerinnen Deutschlands, der Sozi-
alistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) und der Arbeitsgemeinschaft der Berliner Kin-
derfreunde – gegründeten RAG ist ein besonderer (Eppe, 2008, S. 163): Von
staatlich-jugendpegerischer und schulischer über die partei- und sportverband-
liche bis hin zur konfessionellen Seite gab es in der Weimarer Republik einen
starken, zumeist steuernden Zugri auf Kinder und Jugendliche. Überdies be-
mühten sich zahlreiche Bünde und Gruppierungen, vielfach entstanden aus der
Wandervogelbewegung des späten 19. Jahrhunderts, um die Gunst der jungen
Menschen. In dieser „Phase der breiten Entfaltung modernen Jugendlebens und
moderner Jugendkultur“, so Winfried Speitkamp (1998, S. 162), galten Kindheit
und Jugend nicht bloß als Lebensabschnitte, die durch das Alter vom Erwach-
senensein abgegrenzt werden konnten. Vielmehr wurden in der Konstruktion
von Kindheit und Jugend verschiedene, teilweise konigierende zeitgenössische
emen verhandelt: krisenbehaftete Bevölkerungsdiskurse, soziale Abstiegsängste
sowie Aufstiegsoptionen, die Pluralisierung und Ausdierenzierung von gesell-
schaftlicher Teilhabe und Lebensstilen. Kindheit und insbesondere Jugend waren
dabei Mahnungen und Mythisierungen gleichermaßen ausgesetzt. Sie galten als
„Inbegri von Aufbruch, Dynamik und Fortschritt“ einerseits, als noch zu for-
mende Zielgruppe von Disziplinierungs- und Ordnungsmaßnahmen andererseits
(Stambolis, 2023, S. 26, 35).
Der Ansatz der RAG war ein anderer: Es ging nicht nur um die „Verbesserung
der Erziehung und der Lebensumstände“ (Schwitanski, 2012, S. 136), sondern
auch um die Ermächtigung von Arbeiterkindern bis 14 Jahren – für die Älteren
war bereits 1922 die SAJ gegründet worden – zu mündigen, politischen, (sozi-
al-)demokratischen Bürger:innen. Dem autoritären Obrigkeitsstaat wurden die
Verantwortung der Gemeinschaft, freiwillige Wahlen und Vertrauensaufträge ge-
genübergestellt (Löwenstein, 1924, S. 44f.) und betont: „Wir brauchen gegen-
über der langjährigen, durch Generationen hindurchgehenden obrigkeitlichen
Bevormundung ein starkes Unterstreichen dieser Formen der Selbstverwaltung“
(Löwenstein, 1924, S. 47f.). Ein solcher organisatorischer Zusammenschluss jun-
ger Menschen unter 18 Jahren mit einem dezidiert politischen Zweck war im
Kaiserreich laut Reichsvereinsgesetz noch verboten. Erst in der Weimarer Repu-
blik konnte er – trotz vielfacher Konkurrenz und auch Anfeindungen etwa von
kirchlicher oder politisch-konservativer Seite – gedeihen (Eppe, 2008, S. 185f.).
Knapp zehn Jahre nach Gründung der RAG – und kurz vor dem Verbot aller
sozialdemokratischen Organisationen im Juni 1933 – gab es (schätzungsweise)
weit über 1.000 Ortsgruppen mit rund 120.000 Kindern, 10.000 Helfer:innen
und 70.000 Mitgliedern in den Elternvereinen (Eppe, 2008, S. 165). Als Erzie-
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hungsverband vertrat die RAG die politischen und pädagogischen Werte einer
Selbstermächtigung durch Selbstverwaltung in einer (zukünftigen) sozialistischen
Gesellschaft. Als pädagogische Bewegung waren diese Werte allerdings an der
Praxis zu messen, d. h. den regelmäßigen Gruppenstunden und insbesondere den
Zeltlagern, den sogenannten Kinderrepubliken, in denen Kinder anschaulich so-
wohl eine „planvolle Ordnung“ als auch eine „sozialistische Gemeinschaft“ erle-
ben sollten (Löwenstein, 1932, S. 11) und damit ein demokratisch-partizipatives,
solidarisches Miteinander.
Abb. 2: Kurt Löwenstein in der Kinderrepublik Draveil, 1932. Quelle: AAJB, Löwenstein, Kurt 8.
Aktuelle demokratiegeschichtliche Forschungszugänge stilisieren die Weimarer
Republik nicht mehr nur in ihrem Scheitern, sondern historisieren sie dieren-
zierter „als Teil einer dynamischen Demokratiegeschichte“ (Gallus, Pieper, 2023,
S. 7f.; Rossoll, Ziemann, 2021; Maubach, 2018). Angesichts dieses Ansatzes, den
demokratischen „Erwartungshorizont der Zeitgenossen“ (Gallus, Pieper, 2023,
S.8) zu untersuchen, ist der lückenhafte Forschungsstand zu den Kinderfreunden
überraschend. Einzelne geschichtswissenschaftliche Beiträge bieten Grundlagen,
werfen aber insbesondere einen struktur- und entwicklungsgeschichtlichen Blick
auf die RAG und entstammen en gros dem Kontext des Archivs der Arbeiter-
jugendbewegung (AAJB) (Brücher, 2012; 2008; 2007; 2006; Gröschel, 2006:
doi.org/10.35468/6162-07
摘要:

Daldrup,Maria;Diedrichs,IrmelaSelbstverwaltungundSozialismus.ErziehungsanspruchundErziehungspraxisderReichsarbeitsgemeinschaftderKinderfreundeimMikrokosmosKinderrepublikEngelmann,Christina[Hrsg.];Haberkorn,Tobias[Hrsg.];Miethe,Ingrid[Hrsg.]:ProletarischePädagogik.Verhältnisbestimmungen,historischeEx...

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