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Anne Lill und Nele Kuhlmann
weise jedoch kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Bislang liegen nur wenige
Einsichten darüber vor, wie sich Seminare der (Allgemeinen) Erziehungswissen-
schaft, denen programmatisch u. a. das Ziel der Sichtbarmachung und Reexion
von pädagogischen Grundproblemen zugeschrieben wird (vgl. auch Homann-
Ocon, 2007, S. 325), praktisch vollziehen (Wenzl et al., 2023).
Im Rahmen des Beitrags widmen wir uns dieser Problemstellung in der explorati-
ven Analyse einer Seminarsitzung, in der das eingangs aufgerufene Legitimations-
problem von Erziehung anhand einer Textrekonstruktion und -diskussion verhan-
delt wird. Die Seminarinteraktion wurde im Rahmen des vom SNF geförderten
Forschungsprojekts Trajektorien in den Lehrberuf (TriLAN) an einer Schweizer Pä-
dagogischen Hochschule audiographisch aufgezeichnet und uns für diesen Beitrag
zur Verfügung gestellt. eoretisch schliessen wir an ein analytisches Verständnis
von Professionalisierung an, das praktiken- und subjektivierungstheoretisch fun-
diert ist (Brack, 2019; Leonhard 2024; Wrana, 2014). Anstelle von Konzeptionen
zur gelingenden Professionalisierung von Lehrpersonen werden diesem Zugri
folgend zentrale Praktiken im Prozess «des Lehrer*in-Werdens» (Leonhard, 2024,
S. 61) daraufhin untersucht, welche Selbst- und Anderendeutungen, welche
Norm- und Wissenshorizonte und welche Machtbeziehungen situativ und übersi-
tuativ aufgerufen und interaktiv etabliert werden. Einfacher formuliert geht es um
die Fragen, wie aus jungen Erwachsenen in Praktiken der Lehrer:innenbildung
Studierende des Lehrberufs bzw. schliesslich Lehrer:innen (gemacht) werden und
was diesen Prozess genau auszeichnet.
Diesem Zuschnitt folgend interessiert uns für die explorative Analyse der Se-
minarinteraktion, wie im Vollzug fachliche Gegenstände und die beteiligten
Akteur:innen in Relation zueinander als je bestimmte hervorgebracht werden.
Uns geht es darum, in einer explorativen Erkundung erste Einsichten darüber zu
generieren, welche subjektivierenden Logiken dem Format des erziehungstheore-
tischen Seminars eingeschrieben sein könnten. Davon ausgehend liessen sich Ver-
hältnisbestimmungen zu anderen im Rahmen des Projekts TriLAN untersuchten
Praktiken des Lehrer:in-Werdens vornehmen. Für die methodische Umsetzung
dieser Exploration schliessen wir an verschiedene subjektivierungsanalytische
Heuristiken an, die jeweils unterschiedliche Aspekte des Subjektivierungsgesche-
hens in den Fokus rücken: Mit dem Konzept der Autorisierung wird die Analy-
se der situativen Hervorbringung von Geltungsansprüchen möglich (Jergus &
ompson, 2017a); das Konzept der Positionierung kann demgegenüber insbe-
sondere die interaktive Entstehung von diskursiven Gegenständen zugänglich ma-
chen (Wrana, 2015a), und das Konzept der Adressierung die Hervorbringung von
Normen der Anerkennbarkeit (Reh & Ricken, 2012). Bei allen drei Heuristiken
steht dabei die Frage nach der interaktiven Hervorbringung von Subjekten als In-
dividuen mit bestimmten Selbst- und Anderen-Deutungen im Vordergrund – was
eine produktive Bezugnahme ermöglicht.
doi.org/10.35468/6161-06