Rabuza_2025_Die_Anthropologie_des_proletarischen

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Rabuza, Nina
Die Anthropologie des proletarischen Kindes. Walter Benjamins Schriften zu
Kindheit und Pädagogik
Engelmann, Christina [Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik.
Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte. Bad
Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 61-77
Quellenangabe/ Reference:
Rabuza, Nina: Die Anthropologie des proletarischen Kindes. Walter Benjamins Schriften zu Kindheit und
Pädagogik - In: Engelmann, Christina [Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]:
Proletarische Pädagogik. Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen
sozialistischer Bildungskonzepte. Bad Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 61-77 - URN:
urn:nbn:de:0111-pedocs-328910 - DOI: 10.25656/01:32891; 10.35468/6162-03
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-328910
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Nina Rabuza
Die Anthropologie des proletarischen Kindes.
Walter Benjamins Schriften zu Kindheit und
Pädagogik
1929 rezensiert Walter Benjamin Edwin Hoernles pädagogisches Werk Grund-
fragen der proletarischen Erziehung für die Kulturzeitschrift Die Neue Bücherschau.
Die Rezension mit dem Titel Eine kommunistische Pädagogik wirft ein weitgehend
positives Licht auf Hoernles Entwurf einer Erziehung der Kinder im und zum
Klassenkampf. Benjamin lobt besonders Hoernles Darstellungen der Lebenssi-
tuation des proletarischen Kindes (Benjamin, 1989a). Allerdings, so Benjamin,
„ist es nicht leicht, Hoernles Formulierung, daß die Erziehung der Kinder sich in
nichts Wesentlichem von der erwachsener Massen unterscheide, ohne Vorbehalt
hinzunehmen“ (Benjamin, 1989a, S. 208). Hoernles kommunistischer Pädagogik
fehle eine theoretische Fundierung in einer Philosophie der Erziehung, worunter
Benjamin eine „marxistische[], dialektische[] Anthropologie des proletarischen
Kindes“ (Benjamin, 1989a, S. 209) versteht. Diese Anthropologie solle auf „nach
den Prinzipien materialistischer Dialektik durchgearbeiteten Protokollen derjeni-
gen Erfahrungen“ basieren, „die in den proletarischen Kindergärten, Jugendgrup-
pen, Kindertheatern, Wanderbünden gemacht worden sind“ (Benjamin, 1989a
S.209).
Benjamins Forderung nach einer marxistischen, dialektischen Anthropologie wirft
Fragen auf, denn sie verbindet zwei Perspektiven auf den Menschen miteinander,
die zueinander in Spannung stehen: der Marxismus und die zeitgenössische Anth-
ropologie. Marx analysiert die Entfremdung des Subjekts von sich selbst und der
Welt in der kapitalistischen Moderne mit dem Ziel, jene zu überwinden und die
mannigfaltigen Fähigkeiten des Gattungswesens Mensch zu realisieren (vgl. Wol-
lenhaupt, 2018). Die Philosophische Anthropologie des frühen 20. Jahrhunderts
hingegen zielt auf eine naturgeschichtliche Bestimmung des menschlichen We-
sens ab (vgl. Gebauer, 2020). Dieses Wesen ist nicht notwendigerweise determi-
nistisch gedacht, was Helmuth Plessners Begri der „Exzentrizität“ des mensch-
lichen Welt- und Selbstverhältnisses verdeutlicht (Plessner, 2011, S. 292.). Eine
universalistische Perspektive auf die Befreiung des Menschen und die Realisierung
seiner Potentiale ndet sich in der philosophischen Anthropologie jedoch nicht.
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Benjamin, so die zentrale ese dieses Beitrags, greift dennoch auf den Begri
Anthropologie zurück, um bestimmte Spielarten eines doktrinären Materialismus
zu kritisieren. Benjamin sieht die Gefahr, dass ein Fokus auf die Ökonomie und
die vermeintlich naturgesetzliche, gesellschaftliche Entwicklung hin zum Kom-
munismus den Menschen als Kreatur mit einem zugleich eigensinnigen wie histo-
risch und gesellschaftlich geprägten Leib aus den Augen verliere (vgl. Wohlfahrt,
2014). Benjamins materialistische Anthropologie (Benjamin, 2019a, S.309) be-
ziehungsweise seine materialistische Anthropologie analysieren die Entstellungen
der Menschen in der kapitalistischen Moderne und fragen nach den leiblichen
Bedingungen der Möglichkeit der Revolution und einer freien Form menschli-
chen Zusammenlebens (vgl. Duttlinger et al., 2012). Die marxistische, dialekti-
sche Anthropologie des proletarischen Kindes untersucht demzufolge einerseits
die kindlichen Welt- und Selbstverhältnisse von Kindern der Arbeiterklasse. An-
dererseits lotet sie aus, wie Freiheit und Selbstbestimmung zum Zentrum einer
proletarischen Philosophie der Erziehung werden könnten.
Im ersten Teil des Beitrags wird analysiert, was die Formulierung marxistische,
dialektische Anthropologie des proletarischen Kindes bedeuten könnte, ausge-
hend von Benjamins Forderung nach einem anthropologischen Materialismus in
seinem Aufsatz Der Sürrealismus und der Interpretation seiner Analyse moderner
Lebensverhältnisse als materialistische Anthropologie. Der zweite Teil des Beitrags
sucht nach Fragmenten einer marxistischen, dialektischen Anthropologie des pro-
letarischen Kindes in den benjaminischen Texten zur Pädagogik und Kindheit.
Dabei stehen drei emenkomplexe im Mittelpunkt: Benjamins Überlegungen
zum Spiel, die Aufzeichnungen und Texte, die im Kontext seines Moskau-Besuchs
entstanden sind, und die Überlegungen zu Erfahrung und Selbstbestimmung aus
dem Programm eines proletarischen Kindertheaters.
Methodisch folgt der Text einer begriskritisch-rekonstruktiven Lektüre der ben-
jaminschen Schriften. Benjamin verfasst weder zur Anthropologie noch zur Päd-
agogik ein monograsches Werk; zugleich nden sich sowohl in seinen früheren
Arbeiten wie in den Schriften, die nach der „politischen Wende“ (Palmier, 2009,
S. 417) Benjamins im Jahr 1924 entstehen, Überlegungen zu beiden emen.
Die begriskritische Lektüre bezieht die unterschiedlichen Texte aufeinander und
berücksichtig die begriichen Verschiebungen, die charakteristisch für Benjamins
Schreiben sind. Sie folgen einerseits Benjamins Konzeption von wissenschaftlich-
dialektischem Denken als Prozess von fortwährenden Dierenzierungen (vgl.
Holz, 1992). Andererseits nutzt Benjamin Begrie in Rücksicht auf ihre „Be-
deutungsbreite“ (Opitz & Wizisla, 2009, S.10), die sowohl historische als auch
wissenschaftliche und alltagssprachliche Wortbedeutungen umfassen.
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1 Anthropologischer Materialismus und materialistische
Anthropologie
1928, ein Jahr bevor Benjamin fordert, eine marxistische, dialektische Anthro-
pologie zur theoretischen Grundlage einer proletarischen Erziehung zu machen,
erscheint Plessners Hauptwerk Die Stufen des Organischen und der Mensch. Eine
Einführung in die philosophische Anthropologie. Gunther Gebauer deutet die Phi-
losophische Anthropologie Plessners im Kontext einer spezisch deutschen Ent-
wicklung der Anthropologie als Naturphilosophie, die auf der Grundlage der
biologischen Forschung die Lebenssituation des Menschen zu beschreiben versu-
che (Gebauer, 2020). Anders als die französische Anthropologie, die sich für die
spezischen Besonderheiten menschlicher Kulturen interessiere, suche die deut-
sche Philosophische Anthropologie nach dem universal Menschlichen (Gebauer,
2020).
Benjamin kennt Plessner. So hört er im Jahr 1920 einen Vortrag Plessners über
Sprachphilosophie, dessen „Niveau zwar nicht hoch, dessen Inhalt aber meist sehr
zutreend“ (Benjamin, 1996, S. 109) gewesen sei, wie Benjamin an Gershom
Scholem schreibt. In seinen fragmentarischen Bemerkungen zur Anthropologie
fällt der Name Plessner jedoch nicht. Benjamin bezieht sich nicht explizit auf die
zeitgenössische Debatte um die Philosophische Anthropologie. Implizit wendet
Benjamin den Begri Anthropologie jedoch gegen die Philosophische Anthropo-
logie, so Irving Wohlfahrt (2014). Anstelle einer Bestimmung des menschlichen
Wesens, das im Grunde nur das bürgerliche Subjekt des Idealismus naturalisiere
und verabsolutiere, versuche Benjamin, sich den Begri des anthropos, also den
Menschen als fühlendes, leibliches und erfahrungsfähiges Wesen, anzueignen
(Wohlfahrt, 2014).1
Den Menschen als reines Vernunftwesen hingegen, den „inneren Menschen, die
Psyche, das Individuum“ gelte es, so Benjamin in seinem Aufsatz Der Sürrealismus
von 1929, „nach dialektischer Gerechtigkeit, so daß kein Glied ihm unzerissen
bleibt“ (Benjamin, 2019a, S. 309), zu destruieren. Diese Aufgabe ele dem „poli-
tischen Materialismus“ und der „physischen Kreatur“ (Benjamin, 2019a, S. 309)
zu, die Benjamin als anarchisch-revoltierende Kräfte gegen die bürgerliche Gesell-
schaft und ihr Subjekt der Vernunft in Stellung bringt.
Benjamin polemisiert aber auch gegen einen doktrinären Materialismus. Mit
dem Begri des „anthropologischen Materialismus“ (Benjamin, 2019a, S. 309),
1 Auch wenn Benjamin die Philosophischen Anthropologie seiner Zeit zumindest implizit kritisiert,
so steht sein anthropologisches Denken keineswegs außerhalb der Tradition der empirischen An-
thropologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. So setzt er sich schon als Student in München
und Bern mit den Arbeiten des deutschen Ethnologen Karl eodor Preuß auseinander (Scholem,
1975). Zudem befasst sich Benjamin ausführlich mit Johann Jakob Bachofens Mutterrechtstheorie
und dessen Forschung zur Gräbersymboliken und Bestattungsriten (vgl. Benjamin, 2019b).
doi.org/10.35468/6162-03
摘要:

Rabuza,NinaDieAnthropologiedesproletarischenKindes.WalterBenjaminsSchriftenzuKindheitundPädagogikEngelmann,Christina[Hrsg.];Haberkorn,Tobias[Hrsg.];Miethe,Ingrid[Hrsg.]:ProletarischePädagogik.Verhältnisbestimmungen,historischeExperimenteundKontroversensozialistischerBildungskonzepte.BadHeilbrunn:Ver...

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