Der Studierendenhabitus und seine Bedeutung für das Lehrer:in-Werden
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Erzeugungsprinzip selbst mit einem starken Beharrungsvermögen, was Bourdieu
unter dem Begri der «Hysteresis» als ein «Verharren in ihrem Sosein» fasst, wel-
che selbst dann zu einer Stabilität habitueller Dispositionen führt, wenn die äus-
seren Bedingungen sich verändert haben und nicht mehr passen (Bourdieu, 1993,
S. 116f.). Ein Habitus muss sich demnach nicht an ein neues Feld anpassen. Man
könne in der «Anpassung des Habitus an die objektiven Bedingungen (eher) einen
‹Sonderfall des Möglichen› erkennen» und in der Folge könne «das Weiterwirken
der Erstkonditionierungen in Gestalt des Habitus» auch dazu führen, dass sich
«Dispositionen unerwünscht auswirken und Praktiken den vorliegenden Bedin-
gungen objektiv unangepaßt» sind (Bourdieu, 1993, S. 116f.). Es ist auch mög-
lich, «dass die vom Habitus erzeugten und von den früheren Produktionsbedin-
gungen ihrer eigenen Erzeugungsgrundlage beherrschten Praktiken immer dann
an die objektiven Bedingungen vorangepaßt sind, wenn die Bedingungen, unter
denen der Habitus fungiert, immer noch gleich oder ähnlich den Bedingungen
sind, unter denen er gebildet wurde» (Bourdieu, 1993, S. 116). Folglich kann
die Hysteresis nicht nur in Form der Nicht-Passung, sondern auch in Form der
Passung auftreten, gerade wenn die Anforderungslogiken des einen Feldes mit
denen des nächsten Feldes grosse Ähnlichkeit aufweisen. Die Inkorporierung
der Struktur des Feldes in den Habitus geschieht durch eine «Natur gewordene
Geschichte» (Bourdieu, 1979, S. 171) und bedarf daher längerer Zeiträume. In
dieser längeren Teilnahme am Spiel eines Feldes ist es dann grundsätzlich mög-
lich, dass sich bereits vorhandene Dispositionen stabilisieren, verstärken, kontu-
rieren oder transformieren. Insofern macht «gerade die Logik seiner Genesis […]
aus dem Habitus eine chronologisch geordnete Serie von Strukturen, worin eine
Struktur bestimmten Rangs die Strukturen niedrigeren – folglich genetisch frü-
heren – Rangs speziziert und die Strukturen höheren Rangs durch Vermittlung
einer strukturierenden Aktion, die sie gegenüber den strukturierten generativen
Erfahrungen dieser Strukturen ausübt, wiederum strukturiert» (Bourdieu, 1979,
S. 188).
2.2 eoretische Heuristik zum Studierendenhabitus
Die Konzeptualisierung des Habitus als chronologisch geordnete Serie von
Strukturen greifen Kramer (2015) und Helsper (2018a, 2018b, 2019) auf und
machen diese biographisch-feldspezische Perspektive für den Diskurs der
Lehrer:innenbildung anschlussfähig. Beide unterscheiden zum einen biographie-
spezische Habitusformen wie den familiären, primären Herkunftshabitus sowie
den erworbenen individuellen Habitus und zum anderen feldspezische Habitus-
formen wie Schüler- und Lehrerhabitus. Gerade im Fall des Lehrberufs stosse man
auf die Besonderheit, dass Lehrpersonen mindestens zwölf Jahre Schülerinnen
oder Schüler waren. Es bildet sich dadurch ein «Schattenriss eines Lehrerhabi-
tus» (Helsper, 2018a, S. 126) heraus, der durch den weiteren Gang durch das
doi.org/10.35468/6161-04