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schen zu verbessern. Wird es für die Pädagogik möglicherweise angesichts der techni-
schen Entwicklungen allmählich Zeit abzutreten? Im Folgenden werde ich u. a. dieser
Frage nachgehen.
Sein oder Nicht-Sein
Pädagogik ist eine ausgesprochen spannende Wissenschaft. Nun werden vermutlich vie-
le, vielleicht sogar die meisten Wissenschaftler dasselbe von ihrem Fach behaupten. In
der Pädagogik ist diese Spannung jedoch in besonderer Weise begründet, denn ihr Ge-
genstand ist ganz und gar rätselhaft und in seiner Tiefe unbegreifbar. Es handelt sich –
natürlich – um den Menschen. Was aber ist eigentlich so rätselhaft und unbegreifbar am
Menschen? Ad hoc könnte man hier freilich viele Punkte anführen, z.B. ist es faszinie-
rend, dass Menschen unterschiedlich sind. Bei über 7 Milliarden Exemplaren – was zu-
gegebenermaßen eine ganze Menge ist – gibt es keine zwei Menschen, die völlig iden-
tisch sind. Sicher, es gibt unter den 7 Milliarden zahlreiche Zwillinge, die sich wie ein
Ei dem anderen gleichen. In ihrem Charakter, ihrem Denken und Fühlen wird es aber
zweifellos Unterschiede geben, und seien sie auch noch so gering. Für die Pädagogik,
die eine Wissenschaft vom Menschen, also eine Humanwissenschaft, ist, erweisen sich
die Unterschiede unter den Menschen als Fluch und Segen zugleich. Als Fluch deshalb,
weil es nicht das eine Erziehungs- bzw. Bildungsmodell gibt, das für alle Menschen
gleicherweise geeignet ist. Pädagogik muss sich daher immer wieder auf den jeweils
Einzelnen, mit dem sie es zu tun hat, einlassen. Und sie wird feststellen, sofern sie denn
hinhört und hinschaut, dass jeder Einzelne etwas ganz Besonderes mitbringt, etwas, das
eigenartig und neu ist und nur mit diesem einen Menschen einhergeht. Dieses Neue ist
in der Lage, alles bisher Dagewesene in Frage zu stellen. Und eben diese Unerschöpf-
lichkeit, die im Gegenstand der Pädagogik, genauer: im Wesen des Menschen begründet
ist, stellt aus meiner Sicht den Segen dieser Disziplin dar.
Nun könnte man völlig zurecht die Frage stellen, warum der Mensch seinem Wesen
nach unerschöpflich, rätselhaft und unbegreifbar ist. Warum unterscheiden sich die
Menschen voneinander, selbst wenn sie über das exakt gleiche Genmaterial verfügen?
Bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns dem zuwenden, was
der Mensch ist. Wir haben es also mit dem Sein des Menschen zu tun. Das Besondere
am Menschsein kann man – so merkwürdig das erst einmal erscheinen mag – am Bei-
spiel eines Buches erläutern. Nehmen wir den Roman „Brave New World“ von ALDOUS
HUXLEY. Mir geht es an dieser Stelle weniger um den Inhalt des Romans, sondern um
das Buch als materiellen Gegenstand, so, wie es just in diesem Moment vor mir auf dem
Tisch liegt. Was unterscheidet dieses Buch seinem Wesen nach von einem Menschen?
Ganz einfach: Das Buch ist, was es ist. Ohne Weiteres könnte man das auch von einem
Menschen behaupten. Richtig deutlich wird der Unterschied spätestens dann, wenn wir
danach fragen, was das Buch sein kann. Nichts kann es sein! Es ist, was es ist, nämlich
ein Buch. Natürlich kann ich es lesen und anschließend in den Ofen werfen, kann aus
dem Buch also Brennmaterial machen. Das aber ändert nichts daran, dass das Buch im-
mer nur das ist, was es ist. Anders beim Menschen. Stellen Sie sich einen Lehrer vor. Er
hat mehrere Jahre studiert, erfolgreich sein Examen abgelegt, sein Referendariat absol-
viert und unterrichtet seit vielen Jahren Schulklassen. Er ist zweifellos und ganz offiziell
Lehrer. Wenn er aber am späten Nachmittag die Schule verlässt und seine Tochter vom
Kindergarten abholt, ist er Vater und nicht mehr Lehrer. Auch könnte er mitten im Un-
terricht den Raum verlassen, ins Auto steigen und der Schule für immer den Rücken