
6 Pädagogische Korrespondenz
»Abschluss der metaphysischen Desillusionierung«, die »Entsorgung des überkom-
menen Begriffsballasts« und die »Ablösung ... (eines) kritischen Denkens« gehen.
»An die Stelle der von Kant geforderten Mündigkeit sind Kompetenzen,
Schlüsselqualifikationen und Selbstbehauptungsstrategien monadischer Chaospiloten
getreten.« Die Mächte dieser Geister, die anscheinend diese Selbstverwirklichungsegos
hervorbringen, lassen sich in den Verblödungskartellen der »Kulturindustrie« verorten,
die mit »medialem junk food« die außengeleiteten, narzisstischen Charaktere, die sich
als frei erscheinen und die schon David Riesmann »lonely crowd« nannte,
perfektionieren. Die postmoderne Scheinbefreiung aber stehe im Dienst einer per-
vertierten Ökonomie, die nicht mehr als solche erkannt wird. Postmoderne Propaganda
und Neoliberalismus verhalten sich zueinander, wie der Talkmaster zu unserer irrsinni-
gen Wirtschaftsordnung. Der Hypertrophie an »Bildungsangeboten« korrespondiert ein
die gesamte Gesellschaft kennzeichnender Bildungsverfall.
Jetzt ist es nicht so, dass die so argumentierenden Kritiker eindimensional, gar
undialektisch verführen. Es ist auch keineswegs so, dass sie gar die traditionale
Bildung für sakrosankt erklärten. Aber um ein letztes Mal diesen Einladungstext zu
zitieren, verhält es sich doch wie folgt: »Die Antinomie, die Bildung stets innewohnt,
droht sich nach ihrer verwertenden Seite aufzulösen.« D.h. a) die Antinomie war der
Bildung stets eigen und b) sie ist im Begriff sich zugunsten völliger Affirmation auf-
zulösen.
Damit ist nicht das Ende kritischen Denkens eingeläutet, vielmehr erhöhte
kritische Anstrengung verlangt. Ich glaube sogar, dass die kritische Theorie in ihrer,
wie ich finde, konsequentesten erkenntniskritischen und methodologischen Selbst-
thematisierung, nämlich als »Negative Dialektik«, noch keineswegs ausreichend in
unserer kritischen Bildungsdiskussion entfaltet worden ist. Den Weg dazu freizu-
machen, erfordert von Seiten der Kritik auch einen selbstkritischen Blick, zu dem ich
mit eingen Überlegungen beitragen möchte.
Was mich zu der Einlassung veranlasst hat, ist zweierlei. Da ist zum einen in den
Arbeiten derjenigen kritischen Theoretiker, die sich bewusst nicht der Haber-
mas'schen Linie anschlossen und konsequent auf den Spuren von Adorno und Benja-
min bleiben, ein wahrnehmbarer
vornehmer Ton,
der sich schon vorab sicher darin zu
sein scheint, dass die jeweils neuesten Theorieentwicklungen als »Fortschritt der
Regression«2 wahrzunehmen sind. Hier wird gewissermaßen das Gesetz des tenden-
ziellen Falls des Kulturniveaus und der Denkfähigkeit, also des Verlusts des humanen
Überschusses über die gesellschaftliche Funktionalität hinaus zum a priori der Kritik.
Wenn natürlich die Antinomie der Bildung tendenziell nur noch das Geschäft des
Verfalls bedient, dadurch seine Qualität als Widerspruch im Sinne der Subversion3
verliert, der eben auch eine herrschaftskritische Durchbrechung einschlösse, dann
allerdings wäre diese Theorie richtig.
Aber genau dieses Wissen entzieht sich dem Wissbaren. Es ist explizit seit Kants
berühmten drei Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?
a priori ausgeschlossen, theoretische Gewissheit über das zu Hoffende haben zu
können. Was die Geschichte bringt, weiß keine und keiner! Allerdings kann und
sollte die Theorie durch Analysen dem Erhoffbaren den Stoff geben, zumindest aber
nicht das Nichtwissbare wiederum positiv als Negatives deuten.