30 Jahre Theorie des kommunikativen Handelns · 23
kende Individualisten, als dass sie penetrante Diskursstrategien hätten durch-
halten können. Zudem zeigte es sich, dass die Funktion, die Habermas über-
nommen hatte, mit dem Schwinden und der Umorientierung des linkslibera-
len Milieus in die Jahre gekommen war, so dass sie sich auch nicht an Jünge-
re vererben ließ. Im Feuilleton hat man das gerne als das Verschwinden der
Kritischen Theorie gedeutet, ohne noch der Frage nachzugehen, inwiefern
Habermas’ diskurspolitische Einlassungen überhaupt als Ausdruck von Kriti-
scher Theorie gelten können.
Jedenfalls liebte es ein anderer, bald zum Star aufsteigender Philoso-
phenintellektueller den Tod der Kritischen Theorie zu verkünden, um auf die-
ser Basis seine eigenen diskurspolitischen Provokationen mediengerecht zu
platzieren. Peter Sloterdijk reaktiviert dabei so manche älteren Bausteine der
reaktionären Gesellschaftstheorie und geriert sich dabei freigeistig als Tabu-
brecher und retrograder Neudenker. Als er nun im vergangenen Jahr eine
massive Gegenrede gegen den expropriierenden Fiskalstaat als Umvertei-
lungsmaschine führte und dem Bürgertum als Alternative und Glück der Rei-
chen ihre Gabe für die Minderbemittelten anempfahl, schien er es in den Au-
gen der alten Fraktion der Kritik denn doch zu toll getrieben zu haben. Sie
sahen hier das Ende des Sozialstaats eingeläutet. Der sich nun schon manche
Jahre in Habermas’ Rolle übende Axel Honneth erhob sich zum fulminanten
Gegenangriff und publizierte in der residual linksliberalen „Zeit“ eine ver-
nichtende Attacke auf seinen Karlsruher Philosophenkollegen.
Das Kalkül war, wie der Text ganz offensichtlich zeigt: Durch die De-
maskierung des objektiv verblödenden Denkers die Reihen wieder fest zu
schließen und für das eigene sozialdemokratische Programm Werbung zu
machen. Manche gingen beiden Konfliktmanagern auf den Leim und betei-
ligten sich umgehend an der ausgerufenen „Honneth-Sloterdijk-Debatte“.
Man wollte im scheinbar schon fahrenden Zug mitreisen. Dass dann aus den
beiden Texten kein wirklicher Streit erspross, lag weniger an der Bereitschaft
der fix schreibenden Bündnispartner oder dritten Personen, sondern daran,
dass Sloterdijk mit seiner medienbewussten Chuzpe sich selbst eine solche
Debatte verbat. In seiner keineswegs als Antwort auf Honneth gemeinten Ge-
genrede überzog er den angreifenden Gegner mit Spott und Hohn, so als wäre
dieser kein satisfaktionsfähiger Antagonist. Mit solchen Leuten wie diesem
„Frankfurter Professor“ lohne kein Streit, der müsse erst einmal nachlesen,
was man selbst geschrieben habe. Danach gab es nur noch wenige Nachrufe
auf die Anfänge einer Debatte, die gar nicht stattfand. Es blieb dem „klugen
Kopf“ der FAZ überlassen, den Giftpfeil gegen die Kritische Theorie als
Ausdruck des Verständnisses für die Weigerung von Sloterdijk abzuschießen.
Jürgen Kaube legte einmal mehr den Finger in die Wunde der neokritisch–
theoretischen Empörung. Sie kenne nur noch das moralische Argument, aber
habe nichts zur Aufklärung der Gesellschaft beizutragen.
Nun lässt sich dergleichen von politischen Artikeln sowieso nicht ernst-
haft erwarten, aber die theoretischen und, wo vorhanden, empirischen Arbei-
ten sollten es denn doch leisten, dann zumal, wenn sie sich selbst in die Tra-