
Werte schulischer Begabtenförderung:
Begabungsbegriff und Werteorientierung
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Gabriele Weigand, Armin Hackl, Olaf Steenbuck
Werte schulischer Begabtenförderung.
Einführung in einen relevanten Diskurs
Werte in der Begabtenförderung als Anlass zur Reflexion
Begabungs- und Begabtenförderung ist in den letzten
Jahren zunehmend zu einem in Bildungspolitik und päda-
gogischer Praxis wichtigen und beachteten Thema gewor-
den. In den Bundesländern entstehen vielfältige Ange-
botsformen in Kita und Schule, die auch oder speziell
die Förderung besonders und hochbegabter Kinder und
Jugendlicher berücksichtigen – auch, wenn von einer flä-
chendeckenden und bildungsgerechten Versorgung noch
lange keine Rede sein kann. Die Entwicklungen reichen
von Spezialschulen und Spezialklassen über reguläre schu-
lische Angebote mit zusätzlicher Förderung in nachmit-
täglichen oder parallel zum Unterricht gelegenen Kursen
und Angeboten bis hin zum Modell der inklusiven Schule,
die systematisch und bewusst adäquate Angebote auch
für hochbegabte Schülerinnen und Schüler in ihrem Kon-
zept der Inklusion aufgreift – wie es für den Anspruch der
Inklusion auch nicht anders sein kann. Doch nicht nur auf
der Skala zwischen Separation und Inklusion oder zwi-
schen (bedingter) »Homogenität« und Heterogenität der
Lerngruppen unterscheiden sich Formen der möglichen
Förderung, sondern auch hinsichtlich ihrer Orientierung
an den Zielen von Förderung und Bildung. Hier reicht das
Spektrum von Ansätzen, in denen die Leistungsförderung
gezielt und klar im Vordergrund steht, bis zu Konzepten,
die – neben der Leistungsförderung – ausdrücklich eine
umfassende Persönlichkeitsbildung und eine Begabungs-
förderung in der Breite favorisieren.
Bereits an dieser Stelle werden Werte thematisiert, die die
Förderung und die dadurch ermöglichten Bildungsprozesse
leiten und an denen sich die pädagogische Praxis orien-
tiert: »Leistung« ist sicherlich ein zentraler Wert in der Be-
gabungsförderung, und er steht stets – ob nun bewusst
und konzeptionell bedacht oder nicht – in einem Gewich-
tungsverhältnis zu Werten wie »Verantwortung« und »Kre-
ativität« und zu den Bildungsidealen unterschiedlicher
Schulen, aber auch zu Werteorientierungen, die sich an
gesellschaftlichem Nutzen und wirtschaftlicher Verwertbar-
keit orientieren. Kurz: Es geht immer um ein Menschenbild,
das der pädagogischen Konzeption zugrunde liegt; es geht
um ein Verständnis des Kindes und des Jugendlichen als
Person.
Die in die Ansätze der Begabungsförderung eingebun-
denen Werte werden selten direkt thematisiert. Dass eine
solche Reflexion aber notwendig ist, zeigt schon die Unter-
schiedlichkeit der oben erwähnten Zugänge: Ob eher ein
inklusiver oder eher ein separierender Ansatz für ein För-
derangebot gewählt wird, ist eben auch eine Wertentschei-
dung. Es liegen wissenschaftliche Befunde mit Argumenten
für beide Ansätze vor, ein klares Votum für den einen oder
anderen Ansatz ist indessen alleine daraus nicht ableitbar.
Es ist immer auch eine an Werten orientierte Entscheidung,
welche Formen der Förderung angeboten werden und wel-
che Konzepte das pädagogische Handeln leiten. Gleicher-
maßen ist es eine Wertentscheidung, ob ein Angebot die
reine Leistungsförderung in den Vordergrund rückt, wo-
möglich auch bei den Aufnahmekriterien bereits die Lei-
stung zum Maßstab macht, oder ob eine breite Bildung der
ganzen Person die Zieldimensionen bestimmt. Ebenso ist
es freilich darüber hinaus eine Wertentscheidung der Eltern
und Schüler, welches Angebot sie wählen.