Die Ambivalenz der Reexion
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(etwa Liegmann et al. 2018; Paseka&Hinzke 2018), die Praxisreexion im Studium
(Bennewitz&Grabosch 2018; Zorn 2020) oder insbesondere auch kasuistisch-fall-
rekonstruktive Zugänge (etwa Bräuer et al. 2018; Pollmanns et al. 2022; te Poel et
al. 2022). Das mündet in die ese einer „Unerreichbarkeit“ des reexiven-kasuis-
tischen Ideals in der universitären Lehre (Schmidt&Wittek 2022) und bei Wernet
(2016, 2022; auch Wenzl 2022) in die Kritik einer fallrekonstruktiven universitären
Arbeit, die sich als Versprechen einer Vermittlung von eorie und Praxis und als
„Imagerie“ der besseren Vorbereitung auf die Praxis missverstehe.
Aber diese Auseinandersetzung mit Reexion ist keineswegs neu: Schon in den
Anfängen einer professionstheoretisch begründeten rekonstruktiven Kasuistik in
den 1990er Jahren wurde auf die Grenzen, die nicht intendierten Nebenfolgen
und die strukturelle Ungewissheit universitär-fallrekonstruktiver Angebote in der
Lehrerbildung reektiert (etwa Beck et al. 2000; Helsper 2002, 2003; Ohlha-
ver&Wernet 1999). Zudem wurde verdeutlicht, dass das Phantasma einer völ-
ligen Transparenz des Gegenübers durch rekonstruktives Verstehen eher durch
eine bescheidenere Lesart der Relevanz rekonstruktiver Fallarbeit zu ersetzen sei–
nämlich durch ein Wissen des „Nicht-Wissens“, also ein Verständnis, dass kein
sinnverstehender Totaldurchgri auf pädagogische Adressat:innen, Interaktionen,
Szenen etc. möglich sei, sondern eine Vorsicht gegenüber subsumtiven und „to-
talen“ Zugängen des „gewissen Wissens“ möglich werden könne (Helsper 2003).
Hinzu kommt eine vielfach beklagte Unschärfe des Begris der Reexion (Häcker
2017, 2022; Leonhard 2022; Neuweg 2022). Er fungiere als Container- oder
Plastikbegri (Leonhard 2022, S.78), bleibe unklar, erreiche allenfalls den Stand
einer Alltagsdenition, die Bezüge seien wenig strukturiert, es müsse systema-
tischer zwischen reection-in-action und reection-on-action (Neuweg 2022,
S.218.) unterschieden werden.
Dass Reexion als sprachliche Praxis eine conditio humana ist (Häcker 2017,
S.24.), also die grundsätzliche Möglichkeit impliziert, zu sich selbst, zu anderen
und zu anderem in ein distanziertes, auf Begründung drängendes Verhältnis zu tre-
ten (Häcker 2017, S.24.), ist wohl noch breit konsensfähig. Ob es gleichermaßen
für blitzschnelles Nachdenken unter Handlungsdruck oder nur für ein distanziert-
rekursives Denken im Nachhinein zu reservieren ist, also die „Reexion im enge-
ren Sinne“ (Neuweg 2022, S.218), ist eher umstritten. Zudem werden die Begrie
unterschiedlich gebraucht: Bohnsack (2020, 2022) verwendet den Begri der Re-
exion für „den Ausstieg aus dem bisherigen Zirkel und der bisherigen Rahmung
bei gleichzeitigem Einstieg in eine/n neue/n“, während Reexivität „innerhalb des
bisherigen Rahmens oder Zirkels verbleibt“ (Bohnsack 2020, S.57), also eine Art
Stufenmodell von reexiven Praktiken. Häcker weist darauf hin, dass Reexion im
„weitesten Sinne als ein besonderer Modus des Denkens […] und zwar als eine re-
kursive, referenzielle bzw. selbstreferenzielle, rückbezügliche bzw. selbstbezügliche
Form“ verstanden werden kann (Häcker 2017, S.23). Reexivität wird demgegen-
doi.org/10.35468/6156-02