Miethe_2025_Proletarische_Paedagogik
2025-04-22
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Miethe, Ingrid
Proletarische Pädagogik – Sozialistische Pädagogik – Kommunistische
Pädagogik. Versuch der begrifflichen Klärung in einem ideologisch verminten
Gebiet
Engelmann, Christina [Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik.
Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte. Bad
Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 17-43
Quellenangabe/ Reference:
Miethe, Ingrid: Proletarische Pädagogik – Sozialistische Pädagogik – Kommunistische Pädagogik.
Versuch der begrifflichen Klärung in einem ideologisch verminten Gebiet - In: Engelmann, Christina
[Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik.
Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte.
Bad Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 17-43 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-328897 - DOI:
10.25656/01:32889; 10.35468/6162-01
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-328897
https://doi.org/10.25656/01:32889
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Ingrid Miethe
Proletarische Pädagogik – Sozialistische
Pädagogik – Kommunistische Pädagogik.
Versuch der begriichen Klärung in einem
ideologisch verminten Gebiet
„Proletarische Pädagogik“, „sozialistische Pädagogik“ und „kommunistische
Pädagogik“ sind Begrie, die bisher nicht einheitlich deniert sind und deren
Benutzung aufgrund der realpolitischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit
spezischen Zuschreibungen verbunden sind. So können diese Begrie durch-
aus reexhafte Abwehrreaktionen hervorrufen, werden damit doch oft genug die
Umsetzungsversuche im realen Sozialismus assoziiert, die mitunter pauschal un-
ter dem Begri der „totalitäre Erziehung“ (Lange 1954) subsumiert wurden. Die
Abwehr gegen derartige Konzepte zeigt sich nicht zuletzt darin, dass nach dem
Zusammenbruch des Ostblocks die Forschung in diesem Bereich weitgehend zum
Erliegen kam. Nach 1989 ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit der prole-
tarischen / sozialistischen / kommunistischen Pädagogik fast schlagartig abgebro-
chen. Dies wohl primär deshalb, da dieses ema überforscht und ideologisch
überfrachtet und in Wissenschaft wie Öentlichkeit der „Aekt gegenüber sozia-
listischem Denken fast maßlos“ (Winkler et al., 2016, S. 13) erschien.
Erst in jüngster Zeit wurde erneut explizit auf den Begri der sozialistischen
Pädagogik Bezug genommen (Pfützner, 2017; Engelmann & Pfützner, 2018;
Paul-Siewert et al., 2016; Engelmann, 2022; Engelmann, 2023; Engelmann &
Heßdörfer, 2024; Miethe, 2023, 2024; Kuhlmann, 2013; Niggemann, 2012). Es
werden allerdings kaum explizite Begrisklärungen vorgenommen. Der Beitrag
von Kuhlmann (2013) unter dem vielversprechenden Titel „Sozialistische Päda-
gogik“ beinhaltet beispielsweise lediglich die Darstellung der Biograe von Maka-
renko. Diese aktuellen Arbeiten zeigen ein sehr breites Verständnis von sozialisti-
scher Pädagogik und wollen diese keinesfalls auf eine marxistische Positionierung
reduziert sehen (vgl. Niggemann, 2012; Winkler et al., 2016, S. 14.), womit sich
allerdings die Frage stellt, was dann das Spezische einer sozialistischen Pädagogik
ausmacht und wie diese von einer kritischen Erziehungswissenschaft (vgl. Bern-
hard & Rothermel, 2001, S. 14) zu unterscheiden ist.
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Um proletarische / sozialistische / kommunistische Pädagogik als historisches
Phänomen und theoretisches Konzept fassbar zu machen ist es notwendig, diese
bisher theoretisch wenig ausgearbeiteten Begrie (vgl. Pfützner, 2017, S. 32) de-
nitorisch klarer zu fassen. Im Folgenden sollen deshalb in einem ersten Schritt
die Entstehung und Verwendung dieser Begrie im historischen Zusammenhang
nachgezeichnet werden. In einem zweiten Schritt werden dann ausgehend von
dieser historischen Analyse grundlegende Kriterien beschrieben, anhand derer
eine Zuordnung vorgenommen werden kann, welche Ansätze in diesem Diskus-
sionszusammenhang als zugehörig betrachtet werden können und welche nicht.
Deutlich wird dabei werden, dass eine klare Abgrenzung zu keiner Zeit eindeutig
war und die Begrie häug auch synonym verwendet wurden. In einem zweiten
Schritt geht es darum, das Verbindende dieser Ansätze herauszuarbeiten, womit
es möglich wird, diese von anderen Ansätzen abzugrenzen.
1 Historischer Entstehungszusammenhang
Alle drei Begrie sind im Rahmen des politischen Kampfes der Arbeiterklasse zu-
nächst im Rahmen der Sozialdemokratie und nach dem Ersten Weltkrieg als Teil
der Debatte innerhalb der geteilten Arbeiterbewegung entstanden. Die Begrie
sind in „Reden, Aufsätzen oder Kampfschriften zu nden, enthalten aber nicht
eine systematisch aufgebaute eorie“ (Günther et al., 1987, S. 608). Entspre-
chend uneinheitlich werden sie benutzt und variieren je nach politischem Kontext.
Eine völlige Trennschärfe zwischen diesen Begrien existiert nicht, denn sie wer-
den häug synonym benutzt, auch dann, wenn durchaus Unterschiedliches for-
muliert wird. Die beiden Begrie „sozialistische“ sowie „proletarische Pädagogik“
sind ab Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Sozialdemokratie entstanden,
während sich der Begri der „kommunistischen Pädagogik“ erst nach Ende des
Ersten Weltkrieges entwickelte.
1.1 Proletarische und sozialistische Pädagogik als Begrie im
Wilhelminischen Deutschland
Obwohl die SPD die Bildungsarbeit seit ihrer Gründung als integralen Bestandteil
betrachtete (Wendor, 1978; Olbrich, 1982; Lesanovsky, 2003), beschäftigte sich
diese vor der Jahrhundertwende wenig mit Bildungsfragen und es war „schwie-
rig, zu einer konkreten bildungspolitischen Programmatik vorzudringen, die über
die Forderungen des Erfurter Programms hinausging“ (Uhlig, 2008, S.32; auch
Schwarte, 1980, S. 339; Bendele, 1979, S. 24.). Bezüglich der Bildungsarbeit
galten zunächst die auf dem Erfurter Parteitag (1891) aufgestellten und bis 1921
gültigen „eher bescheidenen“ (Uhlig, 2006, S. 50) bildungspolitischen Programm-
punkte als ausreichend. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts galten innerhalb
der deutschen Sozialdemokratie „alle nicht die ökonomische Basis betreenden
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Probleme […] als zweitrangig“ (Bendele, 1979, S. 183) und Bildungsfragen wur-
den mitunter als „bürgerlicher Klumpatsch“ (Duncker in Bendele, 1979, S. 12)
betrachtet. Entsprechend selten werden in den Publikationen Endes des 19. Jahr-
hunderts überhaupt pädagogische emen diskutiert (vgl. Miethe in diesem Band,
Uhlig, 2006, S. 111).
Prägend für das Bildungsverständnis der Sozialdemokratie im Wilhelminischen
Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts war die berühmte Rede Wilhelm Lieb-
knechts Wissen ist Macht. Macht ist Wissen (vgl. Wendorf, 1978). Innerhalb dieses
Denkens wird Bildung prinzipiell als ein wichtiges ema wahrgenommen, aller-
dings stoßen Bildungsreformen notwendigerweise an die Grenzen der kapitalisti-
schen Gesellschaft. „Die Haupttätigkeit des Arbeiters“, so Liebknecht (1872/1976,
S. 133), habe sich deshalb zunächst „auf die Umgestaltung der staatlichen und
gesellschaftlichen Verhältnisse zu richten“, ohne welche die Beschäftigung mit
Bildungsfragen „nichts als eine zeitraubende Spielerei“ sei. Bildungsbemühungen
müssten sich daher auf die „politische Agitation“ (Liebknecht, 1872/1976, S. 173)
und nicht auf Schulreformen richten. Damit wird die Bildungsfrage zumindest
teilweise in eine erst noch zu schaende Zukunft vertagt. Eine sozialistische/pro-
letarische Pädagogik ist in diesem frühen Verständnis eine Utopie für die künftige,
erst noch zu schaende sozialistische Gesellschaft. Liebknecht selbst benutzt in
seiner Rede keinen der beiden Begrie, sondern greift auf den häug genutzten Be-
gri der „Agitation“ zurück, womit eine politische Schulung v. a. der Arbeiter aber
auch der Frauen und später der Jugend bezeichnet wird. Die politische und soziale
Agitation stellt eine Möglichkeit dar, das Bewusstsein der Arbeiter und Frauen zu
entwickeln, um sie so dem eigentlichen Ziel der proletarischen Revolution und
Aufrichtung der sozialistischen Gesellschaft näher zu bringen. Es wird in dieser
Zeit eher von der Bildung der Proletarierkinder gesprochen. Falls die Begrie über-
haupt auftauchen, werden sie umgangssprachlich genutzt und beschreiben eher
eine allgemeine oder politische Bildung der Proletarier(-kinder) oder -frauen.
Erst als Anfang des 20. Jahrhunderts die Bildungsthematik stärker in den Fokus
der Parteitage kam, fanden die Begrie sozialistische / proletarische Bildung / Erzie-
hung / Pädagogik1 häuger und explizit Anwendung. Es wurden zudem Versuche
unternommen, diese Begrie konzeptionell zu klären. In den dem Mannheimer
Parteitag (1906) vorausgehenden Diskussionen in der Parteipresse wird die Frage
1 Für eine bessere Lesbarkeit nutze ich im Folgenden, so es sich nicht um direkte oder indirekte
Zitate handelt, den Begri der „Pädagogik“ – auch wenn der Begri in den Dokumenten der Zeit
eher selten verwendet wird. Deutlich häuger wird der Begri der „Erziehung“ benutzt. Da dieser
Begri in der heutigen Denition – in Abgrenzung zum Bildungsbegri – jedoch intentionale und
normative Prozesse beschreibt – und aufgrund der realsozialistischen Erfahrungen auch spezische
Assoziationen nach sich zieht –, verwende ich diesen Begri nur dann, wenn wirklich derartige
intentionale, normative Erziehungsprozesse gemeint sind. Gerade in der sozialdemokratischen De-
batte der Zeit werden mit dem Begri der „Erziehung“ häug auch Prozesse beschrieben, die nach
heutigen Denitionen Bildungsprozesse meinen.
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der Möglichkeit und Notwendigkeit einer proletarischen Bildung sehr kontrovers
diskutiert:
„Während der eine Teil die Erziehung der Jugend den Eltern und Pädagogen überlassen
wissen will – auch über die Schulzeit hinaus – und es geradezu für schädlich erklärt,
wenn eine parteipolitische Tendenz in der Erziehung der Jugend zur Geltung komme –
[…], hält es die andere Richtung für ein kulturelles Gebot, dass die Sozialdemokratie die
Menschen von frühester Kindheit an im Geiste der sozialistischen Weltanschauung zu
erziehen trachte“ (Fischer, 1906, S. 646).
Bei den beiden hier benannten Richtungen handelt es sich um die Parteilinken2
auf der einen und die so genannten „Revisionisten“ auf der anderen Seite. Die
hier ausgetragene Bildungsdebatte ist Teil des allgemeinen Revisionismusstrei-
tes3 innerhalb der Sozialdemokratie. Die Begrie der „proletarischen Erziehung“
bzw. der „sozialistischen Erziehung“ werden von Seiten der Linken in die De-
batte eingebracht und entwickelt. In der revisionistischen Literatur nden diese
Begrie demgegenüber keinen Eingang bzw. werden sogar in Anführungszeichen
gesetzt, so sie zur Kritik der linken Position zitiert werden müssen. Grundge-
danke der linken Position ist, dass der Arbeiter aufgrund seiner Klassenlage über
ein spezisches Bewusstsein verfüge bzw. potenziell verfügen müsste, auch wenn
dieses noch nicht vorhanden sei. Proletarische Bildung habe dann das Ziel, dieses
Klassenbewusstsein zu entwickeln, um den Arbeiter auf diese Weise in die Lage
zu versetzen, aktiv am Klassenkampf teilnehmen zu können. Nach erfolgreicher
proletarischer Revolution sei es dann möglich, die bessere, sozialistische Gesell-
schaft zu schaen, die ihrerseits dann in der Lage wäre, die Grundlagen für eine
gute Bildung für alle zu schaen. Es ging um die Entwicklung einer proletari-
schen / sozialistischen Pädagogik, die dazu diene, diese Ziele zu erreichen. Die
Revisionisten halten dem entgegen, dass eine Scheidung in „bürgerliche“ und
„proletarische“ Wissenschaft weder möglich noch sinnvoll sei. Es sei der falsche
Ansatz, „zu glauben, man käme dadurch zu einer spezischen ‚proletarischen‘
Wissenschaft, dass man die Resultate der allgemeinen Wissenschaft, die Produk-
te der originalen, forschenden und kombinierenden Geistes arbeit aller Länder
2 Diese Gruppe bezeichnet sich selbst auch als „Marxisten“, womit unterstellt wird, dass die „Revisio-
nisten“ nicht (mehr) als Marxisten betrachtet werden können. Von Seiten der Revisionisten werden
die „Marxisten“ häug als „Orthodoxe“ oder „Radikale“ bezeichnet. Um nicht der Position des
linken Flügels zu folgen, Revisionisten als Nicht-Marxisten zu verstehen, verwende ich den Begri
„Linke“ und aufgrund der Etabliertheit des Begris den der „Revisionisten“.
3 Der so genannte Revisionismusstreit begann in den 1890er-Jahren und führte zu heftigen Debatten
innerhalb der Sozialdemokratie. Anhänger des klassischen Marxismus, die darauf bestanden, dass
eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sei, um den Kapitalismus zu über-
winden, standen den so genannten „Revisionisten“ gegenüber, die argumentierten, dass aufgrund
der Veränderung des Kapitalismus ein sozialistischer Wandel auch durch eine Reformpolitik und
demokratische Teilhabe erreicht werden könne.
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Miethe,IngridProletarischePädagogik–SozialistischePädagogik–KommunistischePädagogik.VersuchderbegrifflichenKlärungineinemideologischvermintenGebietEngelmann,Christina[Hrsg.];Haberkorn,Tobias[Hrsg.];Miethe,Ingrid[Hrsg.]:ProletarischePädagogik.Verhältnisbestimmungen,historischeExperimenteundKontrovers...
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