Clancy, Tom - Operation Rainbow

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“Operation Rainbow”
Written by Tom Clancy
Für Alexandra Maria
Lux mea mundi.
Wie kein Bund die Löwen und Menschenkinder befreundet,
auch nicht Wölfe und Lämmer in Eintracht je sich gesellen;
sondern bitterer Haß sie ewig trennt voneinander:
so gibt's nimmer für uns Vereinigung oder ein Bündnis.
Homer.
Prolog
VORBEREITUNGEN
John Clark hatte schon mehr Flüge hinter sich als mancher
Berufspilot. Er kannte die Statistiken so gut wie jeder andere.
Trotzdem mochte er sich nicht damit abfinden, den Atlantik-
flug in einer zweistrahligen Maschine anzutreten. Vier Trieb-
werke hielt er für richtig - falls eines schlappmachte, verlor
man nur 25 Prozent der Antriebskraft, auf dieser United 777
dagegen die Hälfte. Daß seine Frau, eine der Töchter und ein
Schwiegersohn dabei waren, machte ihn wohl ein wenig ner-
vös. Nein, das stimmte nicht ganz. Angst hatte er keine, je-
denfalls nicht vorm Fliegen, nur so ein schwaches, Ungewis-
ses - was wohl? Er vermochte es selbst nicht zu sagen. Neben
ihm am Fensterplatz saß Sandy und blätterte in einem Krimi,
den sie gestern zu lesen begonnen hatte, während er sich auf
den Economist konzentrieren wollte und sich über das klamme
Gefühl in der Magengrube wunderte. Schon hielt er nach Alarm-
zeichen in der Pilotenkanzel Ausschau. Aber dann rief er sich
zur Ordnung. Da gab's nichts zu sehen; die Crew sollte ihn
nicht für einen nervösen Passagier mit Flugangst halten. Statt
dessen nahm er einen Schluck von seinem Weißwein, schüt-
telte den Kopf und vertiefte sich wieder in den Bericht über
unsere schöne, neue, ach-so-friedliche Weltordnung.
Stimmte das denn nicht? Er verzog das Gesicht. Immerhin
mußte er zugeben, daß die Weltlage entspannter war als je-
mals, seit er zurückdenken konnte. Kein nächtliches Auftau-
chen im U-Boot an der russischen Küste, um jemanden un-
bemerkt abzuholen, keine Spionageflüge nach Teheran, mit
denen man sich bei Iranern unbeliebt machte, kein Schwim-
men in nordvietnamesischen Schlammflüssen, um abgeschos-
sene Fallschirmjäger rauszupauken. Eines Tages würde ihn Bob
Holtzman noch überreden, seine Erlebnisse niederzuschreiben, bloß -
wer würde ihm glauben? Die CIA erlaubte ihm ge-
wiß erst auszupacken, wenn er auf dem Sterbebett lag. Und
damit hatte er keine Eile, solange sein Enkel erst unterwegs
war... Verdammt, daran wollte er schon gar nicht denken.
Patsy hatte sich gleich in der Hochzeitsnacht schwängern
lassen, und Ding strahlte mehr noch als sie selbst vor Stolz.
John warf einen Blick zurück in die Business Class - der Vor-
hang war noch nicht geschlossen. Da saßen sie und lauschten
händchenhaltend der Stewardeß, die ihnen ihre Lektion über
Flugsicherheit erteilte. Sollte im Notfall eine Wasserlandung
notwendig werden, holen Sie die Schwimmwesten unter dem Sitz her-
vor und blasen Sie sie auf, indem sie an der Strippe ziehen...
Das konnte er schon auswendig nachbeten. Die knallgelben
Schwimmwesten machten es den Suchtrupps leichter, den
Unfallort zu finden - für mehr waren sie doch nicht gut.
Erneut spähte Clark nach der Pilotenkanzel hin. Noch im-
mer verspürte er dieses Prickeln im Nacken. Die Flugbegleite-
rin machte ihre Runde, sammelte sein Weinglas ein, während
das Flugzeug auf das Rollfeld schwenkte. Zuletzt blieb sie bei
Alistair stehen, auf der linken Seite des First-Class-Abteils.
Der Engländer warf Clark einen sonderbaren Blick zu, als er
seinen Sitz aufrecht stellte. Er auch? War da was? Beide galten
ja nicht gerade als Angsthasen.
Alistair Stanley war Offizier im Special Air Service der Luft-
waffe gewesen, bevor er auf Dauer zum Geheimdienst ver-
setzt wurde. Seine Stellung war der von John nicht unähnlich.
Sie mußten eingreifen, wenn sich die Kommandos vor Ort
einen Ausrutscher geleistet hatten. Al und John hatten sich bei
einem Einsatz in Rumänien kennengelernt, das war acht Jahre
her, und er als Amerikaner freute sich, nun wieder regelmäßig
mit ihm zu arbeiten, auch wenn er für den Spaß allmählich zu
alt wurde. Verwaltung war nicht gerade das, was John beruf-
lich vorschwebte, aber zugegeben, er war schließlich auch
keine Zwanzig mehr - oder Dreißig - nicht mal mehr Vierzig!
Ein bißchen zu alt, um durch Hinterhöfe zu rennen und über
Mauern zu springen. Ganz ähnlich, aber vornehmer, hatte
sich Ding vor kurzem ausgedrückt, als sie in Johns Büro in
Langley saßen. An Respekt ließ er's auch sonst nicht fehlen -
8.schließlich war John der künftige Großvater seines Erstgebo-
renen. Teufel auch, schimpfte Clark - daß er sich nichts vor-
machte, war doch auch schon was. Er fühlte sich wirklich alt -
nein, alt war nicht ganz richtig, vielmehr älter geworden. Nicht
zu vergessen, daß er als Respektsperson gelten mußte, seit sie
ihn zum Direktor des neuen Dienstes ernannt hatten. Direk-
tor. Eine höfliche Umschreibung für Frühpensionär. Aber
wenn einen der Präsident selbst um einen Gefallen bittet, sagt
man nicht »nein« - erst recht nicht, wenn man zufällig per-
sönlich mit ihm befreundet ist.
Der Lärm der Triebwerke schwoll an, als der Flieger in
Fahrt kam. Das übliche Gefühl, als werde man in den Sitz ge-
drückt, während der Sportwagen bei Grün losrast, doch mit
größerem Druck. Sandy, die kaum gewohnt war zu reisen,
blickte nicht von ihrem Roman auf. Mußte ja maßlos span-
nend sein. Aber John las keine Krimis. Nie konnte er auskno-
beln, wer nun der Täter war, und blöd kam er sich dabei vor,
obwohl ihn sein Beruf mehr als einmal in echte Kriminalfälle
verwickelt hatte. Leinen los, hörte er sich sagen, und dann
spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab. Steil
hob der Flieger ab, schon waren sie in der Luft, während noch
das Fahrwerk eingeholt wurde. Unmittelbar danach wurden
ringsum die Sitze nach hinten geklappt. Ein paar Stunden
Schlaf konnten nicht schaden, bevor sie in London Heathrow
waren. Aber allzu tief wollte John den Sitz nicht klappen. Erst
noch mal etwas essen.
»Endlich unterwegs, Liebling«, murmelte Sandy und blickte
auf.
»Hoffentlich gefällt's dir drüben!«
»Ich habe drei Kochbücher mit. Und wenn ich ausgelesen
habe...«
John lächelte. »Wer war's denn?«
»Weiß noch nicht. Vermutlich die Gattin.«
»Klar. Scheidungsanwälte kommen teurer!«
Kopfschüttelnd kehrte Sandy zu ihrem Krimi zurück,
während die Stewardessen mit dem Servierwagen anrückten.
Clark legte den Economist weg und nahm sich die Sportzeit-
schrift. Es ärgerte ihn, das Ende der Football-Saison zu ver-
passen. Selbst wenn er im Einsatz war, gab er sich Mühe, auf
dem aktuellen Stand zu bleiben. Die Bears waren wieder im
Aufstieg, und in seiner Jugend, als der Bears-Papa George Ha-
las und die Monsters of the Midway Triumphe feierten, hatte
er selbst manchmal von einer Karriere als Profi-Footballer ge-
träumt. In der Schulmannschaft war er als Linebacker nicht
übel gewesen, und die Universität von Indiana hatte sich für
ihn interessiert (auch für seine Schwimmkünste). Doch dann
hatte er sich vom College-Studium verabschiedet und war zur
Marine gegangen, wie schon sein Vater, bloß daß aus Clark ein
SEAL wurde, kein Leichtmatrose auf einer Blechschale...
»Mr. Clark?« Die Stewardeß brachte die Tabletts. »Mrs.
Clark?«
Dafür lohnte sich die Luxusklasse. Hier tat das Bordper-
sonal wenigstens so, als hätten sie einen Namen. Bei seinem
riesigen Flugkilometer-Bonus war John automatisch auf-
gerückt; und von jetzt an würde er vorwiegend British Air-
ways fliegen, die ausgezeichnet mit der englischen Regierung
kooperierte.
Das Menü war nicht zu verachten, stellte er fest, wie immer
auf Auslandsflügen, auch die Weinkarte... Trotzdem zog er
vor, ein Mineralwasser zu bestellen. »Dankeschön.« Hmm...
Murrend rutschte er auf dem Sitz vor, rollte sich die Ärmel
hoch. Immer war ihm zu heiß, wenn er im Flugzeug saß.
Als nächstes meldete sich der Pilot, und die Filme auf ihren
Minifernsehschirmen wurden kurz unterbrochen. Sie folgten
der südlichen Route, um den Windvorteil auszunutzen. Auf
diese Weise, erklärte Flugkapitän Will Garnet, konnten sie
vierzig Minuten einsparen bis Heathrow. Daß er sein Gehalt
damit aufbesserte, verschwieg er. Alle Fluglinien sparten am
Benzin, und eine Dreiviertelstunde würde ihm einen golde-
nen Fleißpunkt ins Schulheft bringen - naja, vielleicht auch
nur einen silbernen...
Das übliche Gefühl. Der Flieger kippte leicht ab und schoß
hoch über Seal Isle City in New Jersey hinaus auf den Ozean,
um erst 5000 Kilometer weiter wieder Land zu erreichen. In
fünfeinhalb Stunden, vermutete John, irgendwo an der iri-
schen Küste. Einen Teil dieser Zeit wollte er zumindest ver-
10.schlafen. Gottseidank nervte der Pilot nicht mit dem üblichen
Reiseführergequatsche - unsere Flughöhe beträgt zwölftausend-
fünfhundert Meter, das wären bei einem Absturz über zwölf Kilo-
meterfreier Fall, ha ha, und... Man begann, das Essen zu servie-
ren, gleich kamen sie in der Touristenklasse an, blockierten
den Korridor mit Servierwagen und rollenden Getränkebars.
Es fing auf der linken Seite an. Der Mann war überkorrekt
gekleidet, hatte ein Jackett an, das Johns Argwohn weckte. Die
meisten zogen es aus, sobald sie sich setzten, er aber - es war
eine Browning-Automatik, mit schwarzglänzender Oberfläche,
die auf Militär schließen ließ. Clark bemerkte es gleich, eine
Sekunde später auch Alistair Stanley. Im nächsten Moment
tauchten rechts zwei weitere Männer auf, gingen direkt an
Clarks Sitz vorbei.
»Verdammter Mist!« hauchte er so leise, daß nur Sandy ihn
hörte. Sie fuhr herum und sah es, doch bevor sie etwas sagen
konnte, griff er nach ihrer Hand. Es genügte, um sie verstum-
men zu lassen. Trotzdem schrie die Dame von gegenüber auf -
wenigstens fast. Die Frau vom Nebensitz hielt ihr den Mund
zu und erstickte den Schrei halb. Ungläubig starrte die Stew-
ardeß auf die beiden Männer vor sich. Das war doch seit Jah-
ren nicht mehr vorgekommen. Wieso passierte es jetzt?
Clark stellte sich dieselbe Frage, und gleich darauf eine wei-
tere: Wieso hatte er seine Dienstwaffe in der Reisetasche, über
ihm in der Gepäckablage? Welchen Sinn macht es, dein Schieß-
eisen mit ins Flugzeug zu nehmen, wenn du im entscheiden-
den Moment nicht drankommst, blöder Idiot? Ein hirnver-
brannter Anfängerfehler! Ein Seitenblick genügte, um denselben
Gesichtsausdruck bei Alistair festzustellen. Zwei der erfah-
rensten Profis im Geschäft, ihre Knarren kaum einen Meter
weit weg, doch ebensogut hätten sie tief im Gepäckraum ver-
staut sein können...
»John...«
»Ruhe bewahren, Sandy«, gab ihr Mann zurück. Leichter ge-
sagt als getan. Das wußte er selbst nur zu gut.
John straffte sich, hielt den Kopf bewegungslos, wandte sich
aber vom Fenster ab und blickte nach vorn zur Pilotenkanzel.
Er ließ die Augen schweifen. Drei waren es. Einer, der mut-
11.maßliche Anführer, nahm eine Stewardeß mit nach vorn, wo
sie ihm die Zwischentür auf schloß. John sah sie die Kanzel be-
treten und die Tür hinter sich verriegeln. Na schön, gleich
würde Kapitän William Garnet merken, was gespielt wurde.
Hoffen wir, daß er Profi ist, der in einer solchen Situation die
Nerven behält. Der nichts anderes sagt als »ja, Sir« - »nein,
Sir« - »drei Koffer voll, Sir«, wenn er in eine Revolvermün-
dung schaut. Im Idealfall hatte er seine Ausbildung bei der
Luftwaffe oder Marine absolviert und vermied es, Dummhei-
ten zu machen und den gottverdammten Helden zu spielen.
Seine Mission war es, das Flugzeug zu landen, irgendwo,
denn es war viel schwerer, dreihundert Leute zu massakrie-
ren, solange das Flugzeug noch mit blockiertem Fahrwerk auf
dem Rollfeld stand.
Drei waren es, einer vorn in der Kanzel. Er mußte drinblei-
ben, um die Piloten in Schach zu halten und über Funk mit
wem auch immer zu verhandeln und die Forderungen zu stel-
len. Zwei standen vorne, weitere in der ersten Klasse, von wo
sie beide Abteile des Fliegers überwachen konnten.
»Meine Damen und Herren, hier spricht der Kapitän. Bitte
bleiben Sie angeschnallt, solange das Warnlicht an ist. Wir ha-
ben Luftlöcher vor uns. Bewahren Sie die Ruhe, in wenigen
Minuten melde ich mich wieder. Danke.«
Gut so, dachte John, und erwiderte einen Blick von Alistair.
Der Kapitän hörte sich gelassen an, und die Kerle drehten
nicht durch - noch nicht. Hinten ahnten die Passagiere ver-
mutlich noch gar nichts von dem Geschehen. Auch gut. Men-
schen geraten schnell in Panik - nicht zwangsläufig, aber bes-
ser noch, wenn niemand auch nur mit einem Anlaß für Panik
rechnete.
Drei. Nur drei? Womöglich noch ein Helfershelfer, als Pas-
sagier getarnt? Der mußte die Bombe im Griff haben, wenn's
eine Bombe gab. Eine Bombe war so ziemlich das Schlimmste,
das ihnen blühen konnte. Eine abgefeuerte Kugel konnte ein
Loch in die Flugzeugwand reißen; dann ging es im Sturzflug
abwärts, einige würden zur Kotztüte greifen, andere sich in
die Hosen machen, aber davon starb man nicht. Die Explosion
einer Bombe dagegen tötete vermutlich alle Insassen des Flie-
12.gers... Reine Glücksache, dachte Clark, aber wer's drauf an-
kommen läßt, riskiert sein Leben. Besser, der Flieger nahm
Kurs auf das Ziel, wohin die drei hier wollten, und wo man in
aller Ruhe verhandeln konnte. Bis dahin wußte man draußen,
daß es drei ganz spezielle Passagiere an Bord gab. Wahr-
scheinlich ging es schon jetzt rund. Die Gangster hatten sich
gewiß über Funk bei der Fluggesellschaft gemeldet und für
die schlechte Nachricht des Tages gesorgt, und der Sicherheits-
chef von United - Clark kannte ihn, Peter Fleming, Ex-Assi-
stent des Vizepräsidenten im FBI - würde seinen ehemaligen
Arbeitgeber verständigen. Und wenn dieser Stein erst ins Rol-
len kam, waren CIA und Staatssicherheit, das FBI-Geiselret-
tungsteam in Quantico und Delta Force, Little Willie Byrons
Eingreiftruppe in Fort Bragg, auch nicht weit. Pete würde
ihnen die Passagierliste geben, drei Namen rot einkreisen.
Das würde Willie ein bißchen nervös machen. Ob man in
Langley und Foggy Bottom schon nach der undichten Stelle
suchte? John verwarf den Gedanken. Sie waren ganz zufällig
hier hereingeraten, vermutlich, auch wenn es die Leute in der
Kommandozentrale von Langleys altem Hauptquartier ins
Schwitzen brachte.
Allmählich wurde es Zeit, sich zu rühren. Clark drehte sich
ganz langsam um zu Domingo »Ding« Chavez, der nur we-
nige Meter weiter saß. Als sie Blickkontakt aufnahmen, faßte
er sich an die Nase, als ob es ihn juckte. Chavez tat es ihm
gleich - und Ding hatte noch immer das Jackett an. Er war ans
heiße Klima gewöhnt, dachte John, ihm war sogar in der Flug-
zeugkabine kalt. Gut so. Dann hatte er noch immer seine
.45er-Beretta - hoffentlich. Allerdings trug er sie an der Seite,
was im Sitzen und angeschnallt recht unbequem sein dürfte.
Wenigstens wußte Chavez, was los war, und tat gut daran,
sich nicht von der Stelle zu rühren. Wie mochte sich Ding
fühlen mit seiner schwangeren Ehefrau auf dem Nebensitz?
Clark schätzte Domingo, der auch unter Streß umsichtig und
gelassen blieb, aber er war Südamerikaner und voller Tempe-
rament - selbst John Clark erkannte, bei aller Erfahrung,
Schwächen bei anderen nur, wenn sie ihm selbst nicht fremd
waren. Seine Frau saß ebenfalls neben ihm, und Sandy hatte
13.Angst, und Sandy sollte nicht um ihre Sicherheit bangen...
Das war es schließlich, wofür er sich als Ehemann verant-
wortlich fühlte...
Einer der Halunken studierte die Passagierliste. Jetzt würde
sich zeigen, ob es ein Sicherheitsleck gab. Doch wenn es sich
so verhielt, war nichts zu machen. Noch nicht. Nicht, bevor er
wußte, was los war. Manchmal mußte man einfach stumm da-
sitzen und abwarten, um...
Der Kerl am Ende des linken Flügels setzte sich in Bewe-
gung. Wenige Schritte nur, und er starrte auf die Frau am Fen-
sterplatz neben Alistair hinunter.
»Wer sind Sie?« erkundigte er sich auf Spanisch.
Die Dame nannte einen Namen, den John nicht mitbekam -
ein spanischer Name, doch nicht deutlich genug, um auf
die Entfernung verständlich zu sein, vor allem, weil die Ant-
wort sehr höflich ausfiel. Irgendwie kultiviert, dachte er.
Diplomatengattin womöglich? Alistair lehnte sich zurück,
starrte den Kerl mit der Waffe aus großen blauen Augen an
und gab sich fast ein wenig zu viel Mühe, seine Angst zu
verbergen.
Ein Schrei erscholl vom Heck des Flugzeugs. »Eine Pistole!
Das ist doch eine Pistole!« ließ sich ein Mann vernehmen.
Mist, dachte John. Jetzt wußten alle Bescheid. Der Kerl vom
rechten Flügel stieß die Tür zum Cockpit auf, um die Nach-
richt gleich weiterzugeben.
»Meine Damen und Herren, hier spricht Captain Garnet.
Man, äh, hat mich aufgefordert, Ihnen mitzuteilen, daß wir
den Kurs ändern müssen... Wir haben einige - hm - Gäste an
Bord, die nach Lajes auf den Azoren geflogen werden wollen.
Sie möchten keine Gewalt anwenden, sagen sie, aber sie sind
bewaffnet, und der Erste Pilot Renford und ich werden allen
ihren" Anweisungen Folge leisten. Ich möchte Sie bitten, ruhig
sitzenzubleiben und die Nerven zu bewahren. Später melde
ich mich wieder.« Gut zu wissen. Der hatte garantiert seine
Ausbildnug beim Militär absolviert; die Stimme blieb kühl
wie ein Frosthauch am Gletscher. Ausgezeichnet.
Lajes auf den Azoren, dachte Clark. Einst eine Basis der US-
Marine. Noch immer in Betrieb? Wohl nur als Zwischenhalt
14.für Langstreckenflüge - eben mal auftanken und gleich wei-
terfliegen, wohin auch immer. Wenigstens sprach der Typ
vom linken Flügel Spanisch und konnte Spanisch verstehen.
Aus dem Nahen Osten kamen sie schon mal nicht. Basken?
Mit denen gab's immer noch Ärger in Spanien. Die Frau, wer
mochte sie sein? Clark wandte den Kopf. Alle bewegten sich
jetzt, und er fiel nicht weiter auf. Anfang fünfzig, sehr ge-
pflegt. Der Vertreter der spanischen Regierung in Washington
war ein Mann. War sie mit ihm verheiratet?
Der Mann ließ argwöhnische Blicke schweifen. »Wie heißen
Sie?«
»Alistair Stanley«, lautete die Antwort. Leugnen war natür-
lich zwecklos. Sie waren ja nicht inkognito unterwegs. Von ih-
rer Agentur wußte man nichts, sie hatte noch gar nicht ange-
fangen. Clark fluchte innerlich. »Ich bin Engländer«, setzte
Alistair kläglich hinzu. »Mein Paß steckt noch in der...« Er
langte nach oben, aber der Kerl schlug ihm den Arm weg.
Nicht übel, die Idee, auch wenn's nicht geklappt hatte. Er
hätte die Reisetasche herunternehmen und den Paß vorzeigen
können, dann lag ihm die Waffe direkt auf dem Schoß. Schade,
daß ihm der Bewaffnete auch so glaubte. Mußte am Akzent
liegen. Aber Alistair blieb auf der Hut. Noch wußten die drei
Wölfe nicht, daß die gekidnappte Herde drei Schäferhunde
barg. Große Schäferhunde.
Willie hing jetzt am Telefon. Bei Delta Force war eine erst-
klassige Bereitschaft rund um die Uhr verfügbar, die bestimmt
schon den Befreiungsschlag durchspielte. Oberst Byron selbst
war mit von der Partie. Little Willie war durch und durch Sol-
dat. Er hatte den XO und einen Führungsstab, den er vom Ein-
satzort aus dirigierte. Die Maschinerie geriet in Bewegung;
John und seine Freunde brauchten nur abzuwarten - voraus-
gesetzt, die Kerle drehten nicht durch.
Von links erklang noch mehr Spanisch. »Wo ist Ihr Mann?«
wollte er wissen. Er wirkte wütend. Kein Wunder, dachte
John. Botschafter sind ideale Opfer. Ihre Gattinnen erst recht.
Sie sah ein paar Klassen besser aus als die Frau eines einfa-
chen Diplomaten, und Washington war ein Vorzugsposten.
Wurde meist von Aristokraten bekleidet, in Spanien war das
15.noch üblich. Je höher der Rang des Opfers, desto leichter ließ
sich die spanische Regierung erpressen.
Ziel verfehlt, war sein nächster Gedanke. Sie hatten ihn ge-
wollt, nicht sie, und das stimmte sie unzufrieden. Schlecht in-
formiert, Jungs. Clark musterte sie und bemerkte den Ärger.
Passiert selbst mir ab und zu. Klar, dachte er, so ungefähr bei je-
dem zweiten Einsatz, wenn's gut lief. Die beiden, die er von
seinem Platz aus sehen konnte, tuschelten miteinander - leise,
aber die Körpersprache verriet alles. Es hatte sie kalt erwischt.
Na schön, drei (oder mehr?) bewaffnete, stocksaure Terrori-
sten an Bord eines zweistrahligen Fliegers, nachts über dem
Atlantik. Hätte schlimmer kommen können, sagte sich John.
Immerhin, sie könnten den Sprengstoff am Leib tragen, mit
Strippe zum Selbstauslösen.
Auf Ende Zwanzig schätzte sie Clark. Alt genug, die Me-
thoden zu kennen, aber noch zu grün hinter den Ohren, um
ohne Anleitung von Erwachsenen auszukommen. Wenig prak-
tische Erfahrung und noch kein Urteilsvermögen. Denken noch,
sie wissen alles besser, halten sich für oberschlau. Dasselbe Pro-
blem mit dem Sterben. Guttrainierte Soldaten verstehen mehr
davon als Terroristen. Die hier wollten ihren Triumph, was an-
deres zogen sie gar nicht in Betracht. Einzelgänger vielleicht.
Mit dem Ausland legten sich baskische Separatisten norma-
lerweise nicht an, oder? Jedenfalls nicht mit den USA, und dies
hier war eine amerikanische Fluggesellschaft, eine rot markierte
Grenze war damit überschritten. Einzelkämpfer? Vielleicht.
Schlecht für uns.
In solchen Situationen will man wenigstens ansatzweise
wissen, woran man ist. Auch beim Terrorismus gibt es Spiel-
regeln, eine regelrechte Liturgie. Man durchläuft gewisse Sta-
dien, bevor es zum Schlimmsten kommt; die Guten kriegen
ihre Chance, mit den Halunken zu reden. Ein Unterhändler
wird vorgelassen, nimmt erste Kontakte auf, um die Nebensa-
chen zu klären - also schön, laßt Kinder und ihre Mütter raus,
okay? Kostet nicht viel, alles andere sähe in der Tagesschau nicht gut
aus für euer Grüppchen, oder? Man bringt sie als erstes dazu, ein
bißchen nachzugeben. Dann die Alten - ihr wollt doch Opi
und Omi nicht über den Haufen schießen, wie? Dann Lebens-
16.mittel, mit Valium versetzt vielleicht, währenddessen spickt
das Späherteam der Abwehr das Flugzeug mit Wanzen und
Miniaturkameras, die ihre Bilder an die Basis funken.
Idioten, dachte Clark. Hier stimmte das Drehbuch nicht. Das
hier war fast so schlimm wie Geld durch Kindesraub zu er-
pressen. Der Teufel sollte Little Willie holen, wenn er nicht
längst an der Pope-Luftwaffenbasis den Air-Force-Transpor-
ter bestiegen hatte. Wollten sie wirklich nach Lajes, kämen sie
desto schneller ins Endspiel, und es stellte sich nur noch die
Frage, wie schnell man den Anführer erledigt hatte, bevor die
Kerle reagierten. Mit den Jungs und Mädels von Oberst Byron
hatte Clark schon gearbeitet. Falls sie ins Flugzeug vordran-
gen, würden es wenigstens diese drei hier auf keinen Fall le-
bend verlassen. Wieviele sie von den Passagieren mitnahmen,
war allerdings noch offen. Ein Flugzeug stürmen war nicht
viel anders als ein Showdown auf dem Pausenhof, bloß enger
und übervölkerter.
Sie redeten weiter da hinten, ohne sich viel darum zu sche-
ren, was ringsum im Flugzeug vorging. Das war gewisser-
maßen logisch. Vorn in der Kanzel spielte die Musik. Trotz-
dem mußte man den Rest doch im Auge behalten. Man wußte
ja nicht, wer an Bord war. Begleiter vom Sicherheitsdienst gab
es zwar nicht mehr, aber auch Polizisten gingen mal auf Rei-
sen, und manche waren bewaffnet... Naja, vielleicht nicht im
internationalen Flugverkehr, aber in der Terrorismusbranche
erreicht man nicht das Pensionsalter, wenn man nicht sehr ge-
wieft ist. Amateure. Einzelkämpfer. Schlecht informiert. Ent-
täuscht und wütend. Es wurde immer schlimmer. Einer hatte
schon die Hand zur Faust geballt und schüttelte sie, dem wid-
rigen Schicksal trotzend, das sie an Bord gebracht hatte.
Ist ja großartig, dachte John erschöpft. Er rutschte im Sitz
zurück, warf Ding einen weiteren Blick zu und kippte ganz
sachte den Kopf von einer Seite zur anderen. Die Antwort war
das Heben einer Braue. Domingo beherrschte, wenn es sein
mußte, ein ausgezeichnetes Englisch.
Mit einem Mal schien sich ein Wetterumschwung anzubah-
nen, aber nicht zum Besseren. Nummer Zwo stürmte wieder
ins Cockpit und blieb mehrere Minuten weg. Unterdessen be-
17.obachteten John und Alistair den Kerl, der links im Korridor
lauerte. Nach zwei Minuten angestrengter Wachsamkeit fuhr
er herum wie der Blitz und spähte nach achtern, reckte den
Hals, wie um die Entfernung zu verkürzen, während sein
Gesichtsausdruck autoritäres Gehabe und Unentschlossen-
heit widerspiegelte. Ebenso schnell machte er wieder kehrt,
wandte sich backbord und streifte die Cockpittür mit wüten-
den Blicken.
Sie sind nur zu dritt, schloß John in diesem Augenblick, als
Nummer Zwei gerade von der Pilotenkanzel zurückkam.
Nummer Drei wirkte viel zu nervös. Alle drei vielleicht?
fragte er sich. Überleg nochmal! befahl sich Clark. Verhielt es
sich so, dann waren sie wirklich Amateure. Dreiecksgeschich-
ten mochten im Kino amüsant sein, aber nicht bei einem
Tempo von 500 Knoten, elftausend Meter über dem Atlantik.
Wenn sie's bloß auf die leichte Schulter nahmen, den Piloten
die Maschine erst einmal landen ließen, kämen sie vielleicht
noch zu Verstand. Aber ganz so cool wirkten sie nicht, oder?
Anstatt seinen Posten im rechten Zwischengang zu bezie-
hen, trat Nummer Zwei auf Nummer Drei zu. Was sie einan-
der in heiserem Ton zuflüsterten, konnte Clark dem Kontext,
wenn auch nicht dem Inhalt nach verstehen. Als Nummer
Zwei auch noch zum Cockpit deutete, war klar, daß es nicht
gut aussah - und keiner weiß, was zu tun ist, erkannte John. Fa-
belhaft. Mit drei waffenschwingenden Autonomen im Flug-
zeug. Allmählich durfte man sich Sorgen machen. Nicht, daß
es Clark mit der Angst bekam, dafür hatte er schon zu oft in
der Klemme gesteckt. Doch in allen anderen Fällen hatte er
eine gewisse Kontrolle über das Geschehen, und wenn nicht,
so doch über sein eigenes Tun und Lassen, konnte sich notfalls
aus dem Staub machen - welch ein Trost das war, merkte er
jetzt erst. Er schloß die Augen und holte tief Luft.
Nummer Zwei trottete wieder nach hinten und nahm Ali-
stairs Sitznachbarin in Augenschein. Sekundenlang stand er
da und musterte sie, dann glotzte er Alistair an, der seinen
Blick pflichtschuldig erwiderte.
»Ja bitte?« erkundigte sich der Engländer schließlich mit
höchst kultivierter Aussprache.
摘要:

“OperationRainbow”WrittenbyTomClancyFürAlexandraMariaLuxmeamundi.WiekeinBunddieLöwenundMenschenkinderbefreundet,auchnichtWölfeundLämmerinEintrachtjesichgesellen;sondernbittererHaßsieewigtrenntvoneinander:sogibt'snimmerfürunsVereinigungodereinBündnis.Homer.PrologVORBEREITUNGENJohnClarkhatteschonmehrF...

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