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Bernd Käpplinger
In der Forschungsliteratur nach 1945 (Meyer, 1969; Knoll, 2007; Grotlüschen
& Boisen-Richter, 2023) nimmt zwar die sozialistisch-demokratische Richtung
mit den prominenten Beispielen von Volkshochschulen in Berlin und vor allem
Leipzig viel Raum in der Forschung ein, aber dies wird kaum die typische bzw.
dominante Richtung der Volkshochschulen in der Weimarer Republik gewesen
sein. Gerade in ländlichen Räumen sind häuger konservativistische Richtungen
an Volkshochschulen der damaligen Epoche zu vermuten, die zwischen protestan-
tisch-national, katholisch-sozial oder völkisch-romantisch changieren konnten.
Seifert (2019) hat so am Beispiel der Volkshochschule Görlitz belegen und auf-
zeigen können, dass bereits vor 1933 demokratische und völkische Kräfte sich an
der dortigen Volkshochschule die Waage hielten, sodass nach 1933 das Kräftever-
hältnis in die völkische Richtung kippen konnte. Es kann als Mythos eingeordnet
werden, dass es erst nach 1933 zu völkischen Ausrichtungen an Volkshochschulen
kam, wenngleich dies nicht für die Mehrheit von ihnen galt. Viele Mitarbeitende
von Volkshochschulen wurden nach 1933 entlassen, verfolgt, mussten emigrieren
oder wurden getötet.1
Proletarische Pädagogik im Sinne einer emanzipativen Ausrichtung mit Blick auf
Arbeiterinnen und Arbeitern hat vor allem an den Volkshochschulen sozialisti-
scher Richtung eine bedeutsame Rolle gespielt. Dabei ist nicht zu vergessen, dass
bürgerlich-konservative Richtungen in der Volkshochschule ein Mittel sahen, mit
welchem dem Volk bzw. den Proletarierinnen und Proletariern Wissen vermittelt
werden sollte. Dies erfolgte mit einer konservativen Absicht, d. h. der Erhaltung
der gesellschaftlichen Ordnung und im Sinne einer Bewältigung der damals oft
wahrgenommen Kulturkrise nach 1918. ematisierungen einer Kulturkrise n-
den sich in zeitgenössischen Publikationen der Volkshochschulbewegung sehr oft,
während explizite Bezüge auf die Demokratie relativ selten waren. Vor diesem
Hintergrund verwundert nicht, dass sich Teile der Arbeiterbewegung bewusst und
explizit von der Volkshochschule als Institution abwendeten und eigene Arbei-
terbildungseinrichtungen gründeten (vgl. Wollenberg, 2020, S. 81). Allerdings
erleichterte dies wiederum reaktionären Kräften, wie zum Beispiel in Bremen die
„Eroberung“ der Institution Volkshochschule lange bevor die Nationalsozialisten
an die Macht kamen.
Volkshochschulen in Deutschland unterschieden sich damals in drei Raum- und
Zeitarrangements. Die Abendvolksschule war vergleichbar mit den rund 850
Volkshochschulen heute, bei denen der Unterricht es abends, nachmittags oder
am Wochenende stattndet. Die Heimvolkshochschulen umfassen einen klausur-
förmigen Unterricht über mehrere Wochen oder Monate in zumeist ländlichen
1 Siehe beispielsweise das Projekt „Vertriebene Bildung“ der österreichischen Volkshochschulen:
http://archiv.vhs.at/index.php?id=vhsarchiv-vertriebene_bildung samt virtueller Ausstellung:
http://archiv.vhs.at/leadmin/uploads_vhsarchiv/downloads/pdf/Wr._VHS_Opfer_des_NS_Aus-
stellungstafeln_01.pdf
doi.org/10.35468/6162-15