
eater und Rundfunk
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die zweiteilung bleibt im grunde bestehen jedoch sollen die spieler möglichst aus laien
bestehen . . . und das publikum aktivisiert werden“ (Brecht, 1971a, S. 126).
Nach Brecht besteht die Funktion der von ihm skizzierten Pädagogik darin, die
Rolle des Spielens vollständig zu verändern. Dies betrit zwar, wie er schreibt,
zuerst die Große Pädagogik, da hier alle zu Spielenden werden, die zugleich Stu-
dierende sind; aber auch in der Kleinen Pädagogik verändert sich das Spielen,
wenngleich weniger umfassend. In ihr geht es um eine Demokratisierung des
eaters, die sich daraus ergeben soll, dass Laien als Spielende auftreten, auch
wenn die eatersituation als solche bestehen bleibt. Im Zentrum der Großen
Pädagogik steht dann die, wie Brecht schreibt, „begriene Geste“, deren Haupt-
bestandteil „das imitierende spielen“ sei. In der Kleinen Pädagogik geht dies mit
dem Anspruch der Entfremdung von Vorgängen einher. In der Großen Pädagogik
geht es dann um das Begreifen von Gesten. Spannend ist zudem – und dies ist
ein Gedanke, der im Verlauf der Argumentation wieder aufgegrien wird –, dass
die eaterkonzeption, die der Großen Pädagogik inhärent ist, ein gesamtgesell-
schaftliches, alltägliches und umfassendes eater impliziert, welches sich nicht
zwingend, oder gar nicht auf einer eaterbühne ereignen muss, sondern eine zur
Bühne gewordene Welt markiert. Es ist eine Anordnung, die für Brecht gleichsam
das Verhältnis von eater und Staat exploriert, insofern die begriene Geste, wie
er schreibt, die Handlungsweise des Einzelnen im Verhältnis zum Staat bestimmt.
Mit Blick auf die Frage, inwiefern es sich bei diesen Pädagogien um eine prole-
tarische Pädagogik handelt, lassen sich zwei Gedanken hervorheben. Einerseits
argumentiert Reiner Steinweg (*1939), dass der Lehreekt des Lehrstücks nicht
„aus der Vermittlung einer Lehre resultiert“, sondern das Lehrstück vielmehr ein
„Lehrmittel“ (1972b, S. 108) sei. Als Lehrinhalt für ein solches Lehrmittel, das
mit einer Schultafel gleichgesetzt wird, wird eine materialistische Dialektik für
die proletarische Klasse nahegelegt. Die materialistische Dialektik wird dabei aber
gleichzeitig einer grundsätzlichen Problematisierung unterzogen, insofern Brecht
bestreitet, dass es sich bei einer solchen Dialektik um eine besondere Wissenschaft
handele, die anhand von Beispielen gelehrt werden könne. Stattdessen geht es
Brecht um eine Dialektik, die, wie Steinweg schreibt, als Verhaltens- und Denkme-
thode zwischen eorie und Praxis situiert werden muss,5 und in der, wie es wie-
derum in Brechts „eorie der Pädagogien“ heißt, „die jungen Leute im Spiele Ta-
ten vollbringen, die ihrer eigenen Betrachtung unterworfen sind“ (Brecht, 1971b,
S. 127). Dies wäre ein Verständnis von proletarischer Dialektik im Verhältnis von
eorie und Praxis, das auch in die Pädagogik des Lehrstücks eingeschrieben ist.
5 Gemeint ist, dass sich die Dialektik, um die es hier geht, nicht einfach dialektisch auösen lässt,
d. h. dass die Lehrstücke nicht mit dem Marxismus gleichzusetzen sind, sondern vielmehr die
Methodenlehre des Marxismus zu ihrem Lehrziel machen. Steinweg argumentiert, dass es sich
hier um einen praktischen Begri der Dialektik handelt, der nur in seiner Anwendung als Übung
erworben werden könne (Steinweg, 1972a, S. 109).
doi.org/10.35468/6162-14