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Katharina Lüthi
1 Einleitung
Ethnographische Beobachtungen in Gesprächs- und Unterrichtssituationen im
Studienverlauf von neun Studierenden an einer Pädagogischen Hochschule in der
Schweiz1 stiessen mich auf das Phänomen der individuellen ‹Planungsresistenz› im
Kontrast zum institutionellen ‹Planungsimperativ›.2 Dass Studierende noch nicht
wie erfahrene Lehrpersonen planen und unterrichten können (vgl. Fraefel, 2023,
S. 111–112), war für mich erwartbar. Sich aber ausgesprochen schwer zu tun mit
einer der wohl grundlegendsten Anforderungen im Lehrberuf, konnte ich schwer
fassen. Irina Birrer3, Studentin auf dem Weg zur Primarlehrerin, stellte meine
eigene, durch langjährige beruiche Erfahrung genährte Leidenschaft für das Pla-
nen radikal in Frage. Die Aussage: «Planen ist eine durchaus rationale Tätigkeit»
stellt Fraefel ganz an den Anfang seines Lehrbuchs «Erfolgreichen Unterricht pla-
nen. Pragmatisch, praktisch, professionell» (Fraefel, 2023, S. 7). Sie deckt sich mit
meiner Vorstellung, dem kontingenten Unterrichtsgeschäft insofern ein Schnipp-
chen zu schlagen, als kluge Vorüberlegungen und -entscheidungen Ressourcen
freilegen, um sich im unwägbaren Unterrichtsverlauf ganz auf das Voranbringen
der Schüler:innen zu konzentrieren.
Was also steckt dahinter, dass Irina Birrer die Planungsprüfung am Ende des ers-
ten Studienjahrs nicht schate und das vierte Praktikum wiederholen musste, weil
sie, anders als ihre Mitstudierenden, ohne Planungsdokumentation angetreten
war und infolgedessen, wenig überraschend, von den Ereignissen überrollt wurde?
Wie ist zu erklären, dass vorbereitende Coaching-Gespräche, in denen die betreu-
enden Dozentinnen ihr ganzes Wissen und Können in Irinas Planungsvermögen
investierten, zum einen «knorzig»4 verliefen und zum anderen scheinbar wenig zur
Entwicklung der Planungsfähigkeit beitrugen? Als ich Irina im Wiederholungs-
praktikum besuchte, erlebte ich sie von frühmorgens bis spätabends schuftend,
die Dinge kurzfristig so bearbeitend, wie sie gerade anstanden. Im allerletzten
Praktikum vor dem Berufseinstieg erzählte sie mir, sie sei vor der praktischen Di-
plomprüfung erst um vier Uhr morgens zu Bett gegangen, weil sie noch so lange
vorbereitet hatte. Dies sei kein schönes Gefühl. Ihr Dokumentationsordner sei
dürftig ausgefallen und entsprechend mittelmässig benotet worden. Irina erzählte
1 Die Daten konnte ich im Rahmen des ethnographisch-längsschnittlich angelegten, vom
Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekts TriLAN gewinnen. Das Akronym
steht für Trajektorien in den Lehrberuf. Adressierungspraktiken und Narrationen im Längsschnitt des
Bachelor-Studiums Kindergarten-/Unterstufe (Leitung: Tobias Leonhard; Laufzeit: 1.5.2020 bis
30.4.2024).
2 Dieser Code ist durch den Austausch mit Tobias Leonhard im Verlauf der ethnographischen
Feldforschung inspiriert.
3 Alle Namen der TriLAN-Teilnehmenden sind Pseudonyme.
4 Natürliche Codes kennzeichne ich mit Anführungszeichen. Es handelt sich dabei um Konzepte, die
direkt aus der Terminologie des Forschungsfelds stammen (vgl. Strauss, 1998, S. 64).
doi.org/10.35468/6161-10