Luethi_2025_Wir_koennen_ja_mal

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Lüthi, Katharina
"Wir können ja mal schauen, ob das geht...". Zweifel am Planungsimperativ
Pädagogischer Hochschulen
Leonhard, Tobias [Hrsg.]: Lehrer:in werden. Trajektorien in den Lehrberuf. Bad Heilbrunn : Verlag Julius
Klinkhardt 2025, S. 285-369. - (Studien zur Professionsforschung und Lehrer:innenbildung)
Quellenangabe/ Reference:
Lüthi, Katharina: "Wir können ja mal schauen, ob das geht...". Zweifel am Planungsimperativ
Pädagogischer Hochschulen - In: Leonhard, Tobias [Hrsg.]: Lehrer:in werden. Trajektorien in den
Lehrberuf. Bad Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 285-369 - URN:
urn:nbn:de:0111-pedocs-328875 - DOI: 10.25656/01:32887; 10.35468/6161-10
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-328875
https://doi.org/10.25656/01:32887
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Katharina Lüthi
«Wir können ja mal schauen, ob das geht …»
Zweifel am Planungsimperativ Pädagogischer
Hochschulen
Zusammenfassung
Prozesse des Planens sind in modernen Gesellschaften hochgradig positiv konno-
tiert und auch im Studium zur Lehrperson eine durchgängige institutionelle Er-
wartungsstruktur. Der Beitrag gibt Einblick in die Trajektorie einer Studentin auf
dem Weg zur Primarlehrerin. Mithilfe der biographisch situierten Adressierungs-
analyse wird untersucht, wie sich pädagogische Handlungsfähigkeit entwickelt:
Zunächst aus einer biographischen Perspektive, danach im letzten Praktikum des
Studiums. Mit der Fallstudie kann gezeigt werden, wie sich herkunftsbedingte
Entscheidungsmodi im Unterricht gegen den Planungsimperativ durchsetzen
und unvorhergesehene Wirkungen mit einem zugleich hohen Potenzial für das
Lernen der Lehrperson und der Schüler:innen entfalten.
Schlagwörter: Biographisch situierte Adressierungsanalyse; Entscheiden; päda-
gogische Handlungsfähigkeit; soziale Selektivität; Subjektivierung; Trajektorien
Summary
In modern societies, planning processes are viewed in a highly positive light
and represent a consistent institutional expectation structure in teacher trai-
ning. e article oers an insight into the trajectory of a student on her way
to becoming a primary school teacher. e biographically situated analysis of
address is used to examine how pedagogical agency develops. is ist done in
two states: rstly, from a biographical perspective, and then by focusing on the
student’s nal internship of the degree course. e case study demonstrates
how origin-related decision-making modes in the classroom prevail against the
planning imperative, resulting in unforeseen eects with signicant potential
for both the teacher’s and the students’ learning.
Keywords: biographically situated analysis of address; pedagogical agency;
decision-making modes; social selectivity; subjectication; trajectories
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Katharina Lüthi
1 Einleitung
Ethnographische Beobachtungen in Gesprächs- und Unterrichtssituationen im
Studienverlauf von neun Studierenden an einer Pädagogischen Hochschule in der
Schweiz1 stiessen mich auf das Phänomen der individuellen ‹Planungsresistenz› im
Kontrast zum institutionellen ‹Planungsimperativ›.2 Dass Studierende noch nicht
wie erfahrene Lehrpersonen planen und unterrichten können (vgl. Fraefel, 2023,
S. 111–112), war für mich erwartbar. Sich aber ausgesprochen schwer zu tun mit
einer der wohl grundlegendsten Anforderungen im Lehrberuf, konnte ich schwer
fassen. Irina Birrer3, Studentin auf dem Weg zur Primarlehrerin, stellte meine
eigene, durch langjährige beruiche Erfahrung genährte Leidenschaft für das Pla-
nen radikal in Frage. Die Aussage: «Planen ist eine durchaus rationale Tätigkeit»
stellt Fraefel ganz an den Anfang seines Lehrbuchs «Erfolgreichen Unterricht pla-
nen. Pragmatisch, praktisch, professionell» (Fraefel, 2023, S. 7). Sie deckt sich mit
meiner Vorstellung, dem kontingenten Unterrichtsgeschäft insofern ein Schnipp-
chen zu schlagen, als kluge Vorüberlegungen und -entscheidungen Ressourcen
freilegen, um sich im unwägbaren Unterrichtsverlauf ganz auf das Voranbringen
der Schüler:innen zu konzentrieren.
Was also steckt dahinter, dass Irina Birrer die Planungsprüfung am Ende des ers-
ten Studienjahrs nicht schate und das vierte Praktikum wiederholen musste, weil
sie, anders als ihre Mitstudierenden, ohne Planungsdokumentation angetreten
war und infolgedessen, wenig überraschend, von den Ereignissen überrollt wurde?
Wie ist zu erklären, dass vorbereitende Coaching-Gespräche, in denen die betreu-
enden Dozentinnen ihr ganzes Wissen und Können in Irinas Planungsvermögen
investierten, zum einen «knorzig»4 verliefen und zum anderen scheinbar wenig zur
Entwicklung der Planungsfähigkeit beitrugen? Als ich Irina im Wiederholungs-
praktikum besuchte, erlebte ich sie von frühmorgens bis spätabends schuftend,
die Dinge kurzfristig so bearbeitend, wie sie gerade anstanden. Im allerletzten
Praktikum vor dem Berufseinstieg erzählte sie mir, sie sei vor der praktischen Di-
plomprüfung erst um vier Uhr morgens zu Bett gegangen, weil sie noch so lange
vorbereitet hatte. Dies sei kein schönes Gefühl. Ihr Dokumentationsordner sei
dürftig ausgefallen und entsprechend mittelmässig benotet worden. Irina erzählte
1 Die Daten konnte ich im Rahmen des ethnographisch-längsschnittlich angelegten, vom
Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekts TriLAN gewinnen. Das Akronym
steht für Trajektorien in den Lehrberuf. Adressierungspraktiken und Narrationen im Längsschnitt des
Bachelor-Studiums Kindergarten-/Unterstufe (Leitung: Tobias Leonhard; Laufzeit: 1.5.2020 bis
30.4.2024).
2 Dieser Code ist durch den Austausch mit Tobias Leonhard im Verlauf der ethnographischen
Feldforschung inspiriert.
3 Alle Namen der TriLAN-Teilnehmenden sind Pseudonyme.
4 Natürliche Codes kennzeichne ich mit Anführungszeichen. Es handelt sich dabei um Konzepte, die
direkt aus der Terminologie des Forschungsfelds stammen (vgl. Strauss, 1998, S. 64).
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mir auch, dass sie bei ihren Mitstudierenden «unten durch» gehe, weil sie nicht
plane. Zuhause hätten sie aber auch immer spontan entschieden, zum Beispiel,
ob und wohin sie in die Ferien verreisten. Ich erinnerte mich an Irinas Aussage
im autobiographisch-narrativen Erstgespräch, mit der sie ihren biographischen
Entwurf erönet: «Es war eine sehr spontane Entscheidung» (BGF03:11–13).5
Diese Entscheidung interpretiere ich über Irinas eigentheoretische Deutung des
«Spontanen» hinaus als zum Studienbeginn vorläuges Ergebnis einer Verkettung
von Widersetzungspraktiken (vgl. Preite, 2019) in einem Prozess des Auskühlens,
in dem «Erwartungen enttäuscht und der soziale Status sowie das Selbstbild einer
Person infrage gestellt werden, weil Selbstwahrnehmung und soziale Realität mit
einem Mal auseinanderklaen» (Matthies & Seyd, 2021, S. 319). Irina Birrers
biographische Gesamtformung verweist auf ein im Lebensablauf fortgesetztes Ab-
arbeiten an strukturellen Zuweisungen, an denen sich ihre Ambitionen brechen,
die aber zugleich eine Handlungsfähigkeit erönen.
Irritierend war schliesslich die Beobachtung, dass die Schüler:innen in Irinas her-
antastender Herangehensweise im Unterricht doch auch lernten. Gerade die vor
Schüler:innen oengelegten Suchbewegungen führten zu unerwarteten Eekten:
Erwünschten, insofern sich eine Schülerin mit einer eleganten Problemlösung
einbrachte, weil es partout nicht gelingen wollte, das Video auf die Leinwand
zu projizieren, wobei sich Irina mutig-anerkennend auf den Vorschlag einliess:
«Wir können ja mal schauen, ob das geht». Zu beobachten waren aber auch un-
erwünschte Eekte, insofern Irinas spontan-entscheidendes Vorgehen Räume für
‹eigenwillige› Aktionen seitens der Schüler:innen öneten, die Irina unter Zug-
zwang setzten. Diese Beobachtungen bewogen mich, dem Planen im Studium zur
Lehrperson im Zusammenhang mit der biographischen Verankerung von Ent-
scheidungen auf den Grund zu gehen.
Den Gang der Untersuchung stelle ich wie folgt dar. Dem Konzept des Entschei-
dens wende ich mich mit einem Schlaglicht auf empirische und theoretische Be-
funde auf der Ebene des Bildungssystems, des Lehrberufs und des Unterrichts
zu (Kapitel 2). Probleme der sozialen Selektivität im Schweizer Bildungssystem
sensibilisieren für herkunftsbedingte Bildungsentscheidungen. Herkunftsbedingte
Entscheidungen für den Lehrberuf beleuchte ich mit einem Blick in den «Bil-
dungsbericht Schweiz», mit theoretischen und empirischen Beiträgen zum Coo-
ling-Out- bzw. Warming-Up-Konzept, mit Befunden der pädagogisch-psychologi-
schen Persönlichkeitsforschung sowie mit Ergebnissen qualitativer Forschung zum
Schüler- und Lehrerhabitus. Schliesslich zwingt das Unterrichten fortwährend
Entscheidungen auf, wobei dem Planen in der Ausbildungssituation eine heraus-
ragende Bedeutung zukommt. Auch wenn aktuell anstelle der konventionellen
Vorwärtsplanung die Rückwärtsplanung zum «Schlüsselprinzip erfolgsorientier-
5 BGF03:11–13: Biographische Gesamtformung; Studentin 03; Zeilennummern im Transkript
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ten Planens» (Fraefel, 2023, S. 49–50) erklärt wird, besteht ein vorrangiges Ziel
der Lehrer:innenbildung in der Vermittlung von «pragmatischen und erfolgver-
sprechenden und praktikablen Planungsstrategien» (Fraefel, 2023, S. 9). Diesem
Anspruch konnte Irina Birrer auch am Ende ihres dreijährigen Bachelorstudiums
kaum gerecht werden. Um die Angemessenheit des Planungsimperativs auszulo-
ten, wende ich mich daher einer soziologischen, entscheidungstheoretischen Per-
spektive zu (vgl. Schimank, 2022). Die Beobachtung, dass inkrementalistisches
Entscheidungsverhalten in Unterrichtssituationen biographisch verankert ist und
besonders interessante Lerngelegenheiten bietet, bearbeite ich mit der übergeord-
neten Fragestellung: Wie entsteht pädagogische Handlungsfähigkeit im Studium
zur Lehrperson? (Kapitel 3). Erstens interessieren mich dazu Entscheidungsmodi
im Lebensablauf, zweitens jene bei der Unterrichtsgestaltung und drittens suche
ich nach Zusammenhängen zwischen biographischen und ausbildungsbezoge-
nen Entscheidungsmodi. Die Datenauswahl begründe ich vor dem Hintergrund
des Datenkorpus, das ich für eine längsschnittliche Modellierung zur Frage der
Entstehung pädagogischer Handlungsfähigkeit im Studium zur Lehrperson doku-
mentiert hatte (Kapitel 3.1). Mit der biographisch situierten Adressierungsanalyse
(bsA) stelle ich das methodische Vorgehen dar (Kapitel 3.2). Den Fragestellungen
entsprechend präsentiere ich die Ergebnisse (Kapitel 4). Die Analyse beinhaltet
Entscheidungsmodi im Lebensablauf mithilfe der Narrationsanalyse nach Schüt-
ze, die mit der biographischen Gesamtformung sowohl wandlungsförmige Pro-
zessstrukturen als auch stabile Merkmalsdimensionen der Identität berücksichtigt
(Kapitel 4.1) Entscheidungsmodi bei der Unterrichtsgestaltung nehme ich mit der
Analyse diskursiver Praktiken von neun Unterrichtssegmenten in den Blick (Kapi-
tel 4.2) Danach diskutiere ich Zusammenhänge zwischen biographischen und aus-
bildungsbezogenen Entscheidungsmodi (Kapitel 4.3). Abschliessend bilanziere ich
die Reichweite der Befunde und zeige weiteren Forschungsbedarf auf (Kapitel 5).
2 Forschungsstand und eorie
Den Stand der Forschung zum Entscheiden umreisse ich nachfolgend mit empi-
rischen und theoretischen Befunden zur sozialen Selektivität auf der Ebene des
Bildungssystems, auf der Ebene des Berufsbildungssystems im Licht der Frage,
wer sich für den Lehrberuf entscheidet und auf der Ebene des Unterrichtens zum
Stellenwert des Planens in der Lehrer:innen(aus)bildung. Abschliessend rahme ich
das Entscheiden mit einem soziologischen Konzept, welches das Planen als einen
spezischen Modus neben Modi des Inkrementalismus und des Coping im Um-
gang mit komplexen Situationen versteht.
Der Schweizerische Wissenschaftsrat attestiert dem Bildungssystem der Schweiz
eine hohe soziale Selektivität und damit verbunden ein hohes Ausmass an Chan-
cenungleichheit (vgl. Becker & Schoch, 2018). Bildungsentscheide lassen sich
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摘要:

Lüthi,Katharina"Wirkönnenjamalschauen,obdasgeht...".ZweifelamPlanungsimperativPädagogischerHochschulenLeonhard,Tobias[Hrsg.]:Lehrer:inwerden.TrajektorienindenLehrberuf.BadHeilbrunn:VerlagJuliusKlinkhardt2025,S.285-369.-(StudienzurProfessionsforschungundLehrer:innenbildung)Quellenangabe/Reference:Lüt...

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