Mueller_2025_Zum_Verhaeltnis_von_Sozialpaedagogik

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Müller, Carsten
Zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Sozialismus – anhand der Analyse
eines Streites zwischen Robert Seidel (Arbeitsschule) und Karl Kautsky
Engelmann, Christina [Hrsg.]; Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik.
Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte. Bad
Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025, S. 199-215
Quellenangabe/ Reference:
Müller, Carsten: Zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Sozialismus – anhand der Analyse eines
Streites zwischen Robert Seidel (Arbeitsschule) und Karl Kautsky - In: Engelmann, Christina [Hrsg.];
Haberkorn, Tobias [Hrsg.]; Miethe, Ingrid [Hrsg.]: Proletarische Pädagogik. Verhältnisbestimmungen,
historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte. Bad Heilbrunn : Verlag
Julius Klinkhardt 2025, S. 199-215 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-328987 - DOI: 10.25656/01:32898;
10.35468/6162-10
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-328987
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Carsten Müller
Zum Verhältnis von Sozialpädagogik und
Sozialismus – anhand der Analyse eines Streites
zwischen Robert Seidel (Arbeitsschule)
und Karl Kautsky
„Die Sozialdemokratie ist die natürliche Tochter der Demokratie; die Demokratie
muss sich, wenn sie konsequent sein will, zur Sozialdemokratie fortentwickeln oder sie
muss zurückkehren zum Liberalismus, von dem sie ausgegangen ist.“
Robert Seidel (1881, S. 1)
„Die Demokratie als Vorstufe der Sozialdemokratie. Nichts einseitiger als das.
Die naturnothwenige Konsequenz der Demokratie
ist nicht die Sozialdemokratie, sondern die Anarchie.“
Karl Kautsky (1881a, S. 1)
In der sozialpädagogischen Historiograe wird Robert Seidel (1850-1933) nur
am Rande erinnert (vgl. z. B. Reyer, 2002, S. 110.). Wenn, dann kommt Sei-
del vor allem im Kontext der Auseinandersetzungen um Arbeitsunterricht und
Arbeitsschule vor. Berüchtigt ist hier Seidels Streit mit dem Reformpädagogen
Georg Kerschensteiner (vgl. Oelkers, 1996, S. 51. und S. 200.; Gonon, 2002,
S. 126.), denn Seidel beansprucht zeitlebens für sich den Titel Vater der Arbeits-
schule6. Als indes Kerschensteiner das ema im Vortrag Die Schule der Zukunft
zur Pestalozzifeier 1908 in Zürich öentlichkeitswirksam präsentiert, fühlt sich
Seidel – wieder einmal7 – um die Anerkennung seiner Lebensleistung gebracht.
Auch wenn die Auseinandersetzung um eine vermeintliche Vaterschaft der Ar-
beitsschule heute wie damals müßig scheint, da der Gedanke weit in die Ge-
schichte der Pädagogik zurückreicht, darf nicht vergessen werden, dass Seidel als
6 Siehe u. a. (Seidel 1909, S. 7.). Der Titel Vater der Arbeitsschule wurde Seidel auch von Dritten
zugeschrieben, z. B. auf einer Gedenktafel, die 1926 zu Ehren Seidels an seinem Geburtshaus in
Kirchberg (Sachsen) angebracht wurde (siehe Zentralbibliothek Zürich, Nachl. R. Seidel 3b.5).
7 Seidel füllt sich zeitlebens zurückgesetzt. Ganz unbegründet ist dies im Fall Kerschensteiners nicht:
Kerschensteiner cancelt Seidel im Vorwort der zweiten Auage seines Vortrags als „sonderbaren
Schriftsteller“ ab.
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frühes und einussreiches Mitglied der Sozialdemokratie8 – u. a. mit Kontakten
zu führenden Sozialisten und Sozialistinnen wie etwa Rosa Luxemburg9 und Clara
Zetkin (vgl. Miethe, 2024) – seine wissenschaftliche Tätigkeit dem Arbeitsunter-
richt widmet. 1885 erscheint seine Schrift Der Arbeitsunterricht, eine soziale und
pädagogische Notwendigkeit zugleich eine Kritik der gegen ihn erhobenen Einwän-
de (siehe hier Seidel, 1910). Noch 1920 wird Seidel als Berichterstatter für den
Arbeitsunterricht zur ersten Reichsschulkonferenz der Weimarer Republik neben
u. a. dem heute noch bekannten Neukantianer und Sozialpädagogen Paul Natorp
geladen. Auch hier trit der bereits in die Jahre gekommene Seidel auf Zustim-
mung wie Ablehnung (vgl. Reichsministerium des Innern, 1920).
Zeitlebens publiziert Seidel zu sozialpädagogischen emen, u. a. in der Schrift
Das Ziel der Erziehung vom Standpunkt der Sozial-Pädagogik. Dort bezeichnet sich
Seidel als „der einzige Vertreter der Sozial-Pädagogik an allen schweizerischen
Hochschulen“ (Seidel, 1915, S. 11). Auch seine Hochschulzeit verbindet er mit
Abwertungen. Erst spät, im Jahr 1905, erhält er nach seiner Habilitation die seit
langem angestrebte wissenschaftliche Stelle, aber eben nur eine Privatdozentur an
der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (vgl. Gabriel & Gruben-
mann, 2018, S. 1403).
Dabei darf nicht übersehen werden, dass Seidel bereits sehr frühzeitig zum ema
Sozialpädagogik auch wissenschaftlich publiziert. Der Terminus taucht bei ihm
erstmalig 1887 in der Schrift Sozialpädagogische Streiichter über Frankreich und
Deutschland zugleich Bericht über den I. Internationalen Lehrerkongress zu Hav-
re 1885 auf (im Folgenden: Sozialpädagogische Streiichter). Mithin belegt diese
Schrift, dass Seidel den Arbeitsunterricht, der als travail manuel zentrales ema
auf dem congrès international des d‘instituteurs et d’institutrices im September 1885
in Le Havre (Frankreich, Normandie) ist, sozialpädagogisch auasst.10 Im Sinn
des frühen Verständnisses von Sozialpädagogik versteht Seidel Sozialpädagogik
8 1867 geht Seidel als Buckskinweber nach Crimmitschau (Erzgebirge) und politisiert sich als junger
Mann dort (vgl. Schaarschmidt, 1934, S. 189-190). Er arbeitet u. a. im Konsumverein, in der Ge-
nossenschaft und Gewerkschaft mit, agitiert an der Seite von Julius Motteler (vgl. Pospiech, 1998,
S. 53), hat mehrere Positionen in der sozialistischen Arbeiterbewegung inne und nimmt u. a. als
Vertreter des Arbeiterfortbildungsvereins (oder des Konsumvereins) Crimmitschau am Eisenacher
Gründungskongress der Sozialdemokratie teil. Seidel tritt am 1.9.1869 in die social-demokratische
Arbeiterpartei ein (siehe Mitgliedskarte im Sozialarchiv Schweiz Ar 113.10.1).
9 Siehe Briefe von Luxemburg an die Familie Seidel (Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2019). Es handelt
sich meist um freundschaftlich-private Briefe, aus denen kaum eine politische Auseinandersetzung
hervorgeht.
10 Seidel hat nachweislich am Kongress teilgenommen (siehe Archives municipales du Havre, Sous-
série R2, Carton 40; hier: Logisliste). Im Archiv nden sich auch französischsprachige Briefe von
Seidel an die Kongressleitung. Die Briefe betreen organisatorische Fragen wie Anreise und Unter-
kunft.
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als Erziehung von Bürgern bzw. Staatsbürgern11, wobei nach seiner Lesart der
Arbeitsunterricht das dazu zentrale Erziehungsmittel ist. Und er verbindet dieses
Verständnis mit „revolutionäre[m] Engagement für die Benachteiligten“ (Kronen,
1980, S. 121).
Die oben genannte Schrift Sozialpädagogische Streiichter wird im weiteren Verlauf
dieses Artikels eine Rolle spielen. Denn die Schrift wird 1888 in der Zeitschrift
Die Neue Zeit durch den berühmten Marxisten Karl Kautsky (1854-1938) rezen-
siert. Die Besprechung bildet gewissermaßen den Endpunkt eines Streites, den
Seidel und Kautsky zuvor in den Jahren 1881-1882 vor allem in der Zeitschrift
Der Sozialdemokrat austragen. Kautsky publiziert dabei unter dem Synonym Sym-
machos, während Seidel das Synonym A. B. C. verwendet.
Beide Zeitschriften, Die Neue Zeit und Der Sozialdemokrat, sind wichtige Organe
der damaligen Sozialdemokratie und dienen der „Erhaltung und Entwicklung ei-
ner gemeinsamen Wertorientierung“ (Gilcher-Holtey, 1986, S. 35), auch vor dem
Hintergrund der Verfolgung der Sozialdemokratie und ihrer Organisationen im
deutschen Kaiserreich (sogenannte Sozialistengesetze). Die Neue Zeit spielt dabei
eine „Schlüsselrolle im innerparteilichen Diskurs“ (Gilcher-Holtey, 1986, S. 36),
denn mit ihm betreibt Kautsky die Verankerung einer marxistischen Sozialismus-
konzeption in der Partei (vgl. Gilcher-Holtey, 1986, S. 39). Zudem vermag Die
Neue Zeit „am ehesten einen Eindruck von der Rezeption pädagogischer Anschau-
ungen [durch die Sozialdemokratie; d. Verf.] in dieser Zeit zu geben“ (Neumann,
1980, S. 49, Fußnote 3).
Die teils heftige Auseinandersetzung zwischen Seidel und Kautsky, in die schließ-
lich auch Parteigranden wie Wilhelm Liebknecht12 und August Bebel13 einbezo-
gen werden, bildet – aus der Sicht des Verfassers – gewissermaßen eine ‚Blau-
pause‘ für kommende Auseinandersetzungen. Sie kreist u. a. um das Verhältnis
von Demokratie zu Sozialismus. Diese Verhältnisbestimmung tangiert auch die
Sozialpädagogik, denn schließlich geht es der frühen Sozialpädagogik um die ge-
lingende Vermittlung von Individualität und Sozialität, etwa als Gesellschaft oder
Gemeinschaft. Insofern sind politische Vorstellungen, wie Gesellschaft und Staat
zu gestalten sind, immer mit in die Sozialpädagogik eingelagert.
Die Idee des vorliegenden Beitrags ist daher, durch eine Analyse des Seidel-Kaut-
sky-Streites ein erhellendes Blitzlicht auch auf das Verhältnis von früher Sozialpä-
dagogik und Sozialismus zu werfen – nicht generell, sondern exemplarisch. Hierzu
nutzt der Beitrag eine spezische hermeneutische Methodik (siehe Müller, 2014).
11 Die männliche Form wird benutzt, wenn dies den historischen Quellen entspricht. Begrie wie
Bürger, Staatsbürger usw. sind in den historischen Quellen meist männlich konnotiert. Eine hier
nachträgliche eingefügte gendergerechte Sprache würde diese Vereinseitigung nicht kenntlich ma-
chen.
12 Siehe Kommentierungen und Briefe in Langkau (1988).
13 Siehe Kommentierungen und Briefe in Dlubeck & Herrmann (1970).
doi.org/10.35468/6162-10
摘要:

Müller,CarstenZumVerhältnisvonSozialpädagogikundSozialismus–anhandderAnalyseeinesStreiteszwischenRobertSeidel(Arbeitsschule)undKarlKautskyEngelmann,Christina[Hrsg.];Haberkorn,Tobias[Hrsg.];Miethe,Ingrid[Hrsg.]:ProletarischePädagogik.Verhältnisbestimmungen,historischeExperimenteundKontroversensoziali...

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