Kritiker wenden ein, dass das Denken des Bildungsrats auf "die rationale Organisation und
Planung ausgerichtet" ist (vgl. z. B. Röhrig 1999, 208). Tatsächlich finden
bildungstheoretische Überlegungen in dieser Definition wohl keinen Raum, obwohl sie schon
begrifflich für viele dem Bereich der Bildungsforschung zugehörig erscheinen.
Der Begriff der "Bildung" assoziiert für viele den geisteswissenschaftlichen deutschen
Traditionsrahmen und Wortschatz. "Bildung" ist ein spezifisch im deutschsprachigen Raum
existenter Terminus und muss daher auch im Kontext der deutschen Bildungsgeschichte
betrachtet werden. Bildung kann aus dieser Perspektive beispielsweise nicht mit "education"
gleichgesetzt werden.
Lassnigg & Pechar (1996) gestehen "der Bildungsforschung" ein etwas weiteres Spektrum als
der Deutsche Bildungsrat zu, übernehmen jedoch dessen "rationale" Perspektive. Für sie sind
folgende zwei Elemente zentral:
"(1) Bildungsforschung überschreitet den Rahmen der disziplinorientierten
pädagogischen Forschung und hat multi- oder interdisziplinären Charakter;
(2) Bildungsforschung geht über den deskriptiv- erklärenden Anspruch
hinaus und hat auch normativen, anwendungs- bzw. problemorientierten
Charakter. Diesem Verständnis von Bildungsforschung liegt die Idee
zugrunde, daß das Forschungsfeld der Pädagogik und
Erziehungswissenschaft zu eng ist, um eine ausreichende Grundlage für die
rationale Diskussion von Gestaltungs- und Entwicklungsproblemen des
Bildungswesens abzugeben." (Lassnigg & Pechar 1996)
Vorsichtig stellt Rudolf Tippelt (2002), der Herausgeber des "Handbuchs Bildungsforschung"
daher fest:
"Die Herausgabe eines solchen Handbuchs stellt insofern ein Wagnis dar,
als das Forschungsgebiet der Bildungsforschung nur unscharf abzugrenzen
ist, Bildungsforschung also einen sehr weiten Forschungsbereich, der
keineswegs allein von der Erziehungswissenschaft bearbeitet wird,
darstellt" (S. 9)
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des Handbuchs zeigt, dass Bildungsforschung aus Sicht
Tippelts sich dabei nicht auf das institutionalisierte Bildungswesen, wie Schule,
Berufsbildung oder Hochschule, beschränkt, sondern viele Aspekte nicht-institutionalisierter
Bildungsprozesse enthält: beispielsweise das "lebenslange Lernen" oder die Selbstbildung von
Kindern.
Auf der Suche nach Arbeiten zum Begriff und Verständnis der Bildungsforschung kamen wir
zu der Einschätzung, dass eine gründliche Auseinandersetzung dazu bislang fehlt.
Pragmatisch wollen wir uns daher an unseren Autor/-innen, Gutachter/-innen und Leser/-
innen und deren Verständnis von "Bildungsforschung" orientieren - Diskussionen und
Modifikationen sind also zu erwarten.
Da Bildungsforschung von vielen als der "interdisziplinäre" Blick auf Themen der
Erziehungswissenschaft bzw. Pädagogik betrachtet wird (vgl. u.a. Tippelt 2002), entschieden
wir uns jedoch dafür, ihn zum Titel dieser Zeitschrift zu machen, weil Interdisziplinarität
unser Wunsch ist.
Neben Pädagogik und Psychologie spielt Bildungsforschung auch in Soziologie, Volks- und
Betriebswirtschaft sowie Geschichtswissenschaft und Philosophie eine zentrale Rolle und