
Liberale Konzeptionen freier Schulwahl
verfügt über expressive Freiheit in Galstons Sinn, wenn sie nicht durch soziale Beschrän-
kungen daran gehindert wird, ihr Leben in einer Weise zu führen, welche ihre tiefsten Über-
zeugungen ausdrückt (GALSTON 2002, S. 28). Die Erziehung und Bildung eigener Kinder ge-
hört für Galston zu den Bereichen, in denen es für Individuen besonders bedeutsam ist, ihre
eigenen Wertüberzeugungen ausdrücken zu können. Weder Reich noch Galston wird man
Sympathien für staatlich finanzierte Schulwahlprogramme absprechen können.
Die Einwände, die gegen politisch fundierte Konzeptionen freier Schulwahl vorgebracht
werden können, unterscheiden sich zumindest teilweise von den Einwänden gegen die
marktliberale Konzeption. Zum einen ist hier eine Debatte über die empirischen Effekte
freier Schulwahl kaum angezeigt. Die politische Konzeption ist nicht mit der Behauptung
verknüpft, dass Schulwahlmodelle eine umfassende Qualitäts- oder Effizienzsteigerung im
Bildungssystem bewirken. Zum anderen tritt hier die in unterschiedlichen Variationen vor-
gebrachte Kritik gegen die Verbindung von schulischer Bildung mit der Logik des Marktes
in den Hintergrund.
Dagegen erübrigt sich ein anderer Typus von Einwänden nicht ohne Weiteres: Auch in
seiner politischen Ausprägung gibt das liberale Denken den Belangen von Individuen –
konkret: von Eltern – besonderes Gewicht. Wenn Eltern die Berechtigung erhalten, Schulen
nach ihren eigenen Vorstellungen zu wählen und zu gestalten, so stellt sich die Frage, in-
wiefern dies den Belangen der Öffentlichkeit gerecht wird. Es besteht, so könnte man etwa
sagen, ein öffentliches Interesse an der Heranbildung gesetzestreuer und engagierter Staats-
bürger, welches durch die Privatisierung von Bildungsentscheidungen gefährdet ist.
Weitere Bedenken beziehen sich nicht auf das öffentliche Interesse, sondern die Belange
der Kinder, die durch die Ausweitung der elterlichen Freiheit möglicherweise nicht ange-
messen berücksichtigt werden. Dabei sind insbesondere diejenigen Fälle in den Blick zu
nehmen, in denen Eltern vorrangig das Ziel verfolgen, ihre Kinder auf ihre eigene Weltan-
schauung zu verpflichten. Dieses Bemühen kann dazu führen, dass die Eltern der Ausbil-
dung der Fähigkeit zu selbständigem, kritischem Denken systematisch entgegenwirken.
[374] Ein wesentlicher Unterschied zwischen der marktliberalen und den politischen
Konzeptionen zeigt sich an ihrem Umgang mit diesen Problemen. Das Markt-Modell kann
diesen nur dadurch begegnen, dass es eine Relativierung seines eigenen Wirkmechanismus
durch politische Eingriffe zulässt. Politisch-liberale Konzeptionen hingegen sind in der
Lage, den angesprochenen Problemen mit ihren eigenen theoretischen Ressourcen zu be-
gegnen: Um individuelle Freiheitsspielräume zu sichern, so die Grundidee, müssen Regeln
und institutionelle Arrangements gefunden werden, die von allen mitgetragen werden kön-
nen. Verknüpft mit diesem liberalen Grundgedanken ist die Idee, dass die Akzeptanz die-
ser Grundlagen des Zusammenlebens durch Erziehung und Bildung gefördert werden soll.
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