
Das eigentliche Porttown beginnt gut drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, dort, wo die First
Avenue nur noch geradeaus zum Zollgebäude führt. Hier bleiben auch die Robotaxis stehen, denn ihre
Programmierung erlaubt nicht, daß sie tiefer in diese Gegend vorstoßen. Inzwischen haben sich
Mulligans Muskeln wenigstens so weit entkrampft, daß er humpelnd gehen kann, solange Nunks einen
Arm um ihn gelegt hat und ihn stützt. So trotten sie die D-Straßen entlang, vorbei an den grauen
Fassaden aus Plastbeton, den Pfandhäusern und billigen Hotels, den Betrunkenen in den
Hauseingängen, den Rauschgiftsüchtigen, die sich auf den Gehwegen ausgestreckt haben. Hin und
wieder läßt sich eine müde Nutte aus dem einen oder anderen Fenster vernehmen, mit einem ebenso
müden Scherz, oder ein männliches oder weibliches Wesen in der Uniform der Raumflotte schwankt
seines, ihres Weges, der nach einer Nacht Urlaub zum Raumhafen zurückführt. Zweimal werden sie
von Lizzie-Gangs verfolgt, doch ist Nunks zum einen von beeindruckender Größe, zum anderen kann
er sich in solchen Situationen mit einer von allen Wesen fühlbaren Aura von Feindseligkeit und
Gefahr umgeben, die ihren Eindruck nie verfehlt. Nach einem oder zwei Blocks sind die Gangs
verschwunden.
Nun sind sie schon in Sichtweite des Tors zum Raumhafen, doch biegen sie in eine schmale Gasse, die
vor einer Mauer endet; sie gehört zu einem Lagerhaus, das sich über ein ganzes Karree erstreckt. Eine
Laderampe, große Schiebetore - alles, was dazugehört, doch erkennt man aus der
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Nähe Vorhängeschlösser an den rostigen Toren, die Fenster sind übermalt, die Rampe fast zugeweht
von dem, was der Wind an Abfall herbeigetragen hat. An einer Ecke ist eine ganz normale Tür, über
der ein 3-D-Schild verkündet: A-bis-Z-Unternehmungen. Obwohl Mulligan den Verdacht hat, daß der
Firmenname noch niemanden täuschen konnte, außer einige Touristen von anderen Planeten, die sich
unglücklicherweise in diese Gegend verirrten, muß man doch zugestehen, daß hinter dem Ganzen
nicht eigentlich eine Täuschungsabsicht steckt. Es war eher so, daß den Behörden damit signalisiert
wurde, daß Lacey willens war, ihrem Unternehmen den Anschein von Legalität zu geben, und die
Behörden ihrerseits den Anschein erwecken konnten, sie wüßten nicht, daß man sie täuschte. Auf dem
Planeten Hagar gab es zweifellos ganz eigene Wege, bestimmte Dinge zu tun.
Nunks preßt seine Handfläche gegen das Lesefeld des automatischen Schlosses, und mit einem hohlen
Ächzen gleitet die Tür auf. Schon mit dem ersten Schritt ins Innere fühlt sich Mulligan besser. Was
von außen wie ein massives Gebäude wirkt, ist in Wirklichkeit kaum mehr als eine Art Hülle, eine
Einfriedung von der Größe eines kleinen Zimmers. Darinnen aber befindet sich ein Garten üppiges
Grün, Reihe um Reihe Obstpflanzen und Stauden, Weinranken, Gemüse. Und das alles eingerahmt,
direkt an der Innenmauer, von Bäumen, hauptsächlich alten Apfelbäumen, wie man sie von der Erde
kannte. Sicher gab es eine Menge Beamter bei verschiedenen Behörden, die sich wunderten, woher
Lacey die Extrarationen Wasser hatte, die man für dieses Paradies brauchte, doch stellte niemand
peinliche Fragen. Das war auch besser so, denn was würden sie tun, wenn sie eine exotische Frucht
wünschten, um eine Geliebte zu beeindrucken oder frisches Gemüse, um die Wünsche ihrer
schwangeren Frau zufriedenzustellen? Der Apfelschnaps, den Nunks und Lacey brannten, war
hilfreicher als jedes Schmiergeld, zu unentbehrlich, als daß man
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ihn durch Haarspalterei über irgendwelche Vorschriften aufs Spiel setzen wollte. Außerdem war ein
großer Teil des Wassers völlig legaler Herkunft, denn Lacey war geradezu fanatisch, was die
Rückgewinnung des im Hause verbrauchten Wassers anging.
In der Nacht leuchtet das unaufhörliche Farbenspiel des Nordlichts über dem Garten, fast scheint er im
Rhythmus der aufblühenden Farben zu atmen. Vorsichtig bahnen sie sich einen Weg zwischen zwei
Reihen graugrünen Brotfarns, da bemerkt Mulligan ein Mädchen, das in dem hellen Lichtschein vor
seiner Zimmertür steht. Sie ist vielleicht sechzehn, sehr hübsch, klein und zart. Ihr Haar hat sie weiß
gebleicht und mit einem Hauch Purpur getönt, es hebt sich anmutig von der weichen dunklen Haut ab.
Doch bemerkt Mulligan, daß eine Seite ihres Gesichts blaugeschlagen ist, und sogar in diesem
ungünstigen Licht erkennt er die roten Male an ihrem Hals, die genau die Größe von Fingerspitzen
haben.
Großer Bruder? Neues Mädchen hier? Freundin von Lacey? Wohnt sie hier?
Ja. Nein. Ja. Auf der Straße gefunden, heute mittag.
Als das Mädchen sie bemerkt, huscht sie zurück in ihr Zimmer und schlägt die Tür zu. Mulligan hört
die altmodischen Riegel knarren, eine Vorlegekette rasselt. Sicher ist sicher. Ihre Furcht, die er spürt,
lenkt ihn von seinen eigenen Schmerzen ab, lange genug, um die Freitreppe zum ersten Stock