Die Welt noch einmal · 5
Michael Parmentier
Die Welt noch einmal. Anfang und Ende des musealen
Anspruchs auf universale Repräsentation1
Die Frage nach der Möglichkeit einer umfassenden Repräsentation von Welt,
mit der sich die Pädagogen, die Theoretiker wie die Praktiker, in ihren klassi-
schen Zeiten von Comenius über Rousseau, Herbart und Fröbel bis zu Mol-
lenhauer einmal intensiv beschäftigt hatten, ist aus den schulischen Reform-
debatten der Gegenwart mehr oder weniger verschwunden. Die Konstrukteu-
re von outputorientierten Kompetenzmodellen lassen sich jedenfalls davon
nicht mehr sonderlich beunruhigen.
Im Museum, dem zweiten großen, zur Schule komplementären und von
der Erziehungswissenschaft sträflich vernachlässigten Bildungsort der Neu-
zeit ist das noch etwas anders. Obwohl auch hier der neoliberale Zeitgeist
durch alle Ritzen pfeift und an einigen Häusern schon begonnen hat, die pä-
dagogische Arbeit in ein Marketinginstrument zu verwandeln, ist in dieser
alterehrwürdigen Institution die Absicht, die Welt im Kleinen wie in einer
Nussschale zu Bildungszwecken noch einmal mit Hilfe ausgewählter Gegen-
stände zu wiederholen, nicht ganz erloschen. Die Absicht ist uralt und reicht
weit in die Sammlungsgeschichte zurück.
Manche halten ja sogar Noah für den Pionier in dieser Angelegenheit.
Immerhin hat er in seiner Arche einen so umfassenden Bestand an Hausrat
und Großtieren aufbewahrt, dass er damit nach der Flut die Welt ein zweites
Mal völlig neu erschaffen konnte. Doch Noah verfolgte damit bekanntlich
keine Bildungsabsichten. Außerdem enthält sein Fall eine Reihe von Un-
stimmigkeiten und basiert auf Quellen, die sich nur schwer verifizieren las-
sen. Deshalb empfiehlt es sich, die Geschichte des aufgeworfenen musealen
Präsentationsproblems etwas später mit jenen historisch wirklich gesicherten
Dingarrangements beginnen zu lassen, die im 16. und frühen 17. Jahrhundert
eine kurze aber viel beachtete Blüte erlebten und deren diverse Erscheinungs-
formen zuerst von Julius Schlosser in seiner epochemachenden Studie von
1908 zum Typus der „Kunst- und Wunderkammern“ zusammenfasst wurden.
Wie seltsam und rätselhaft diese Kunst- und Wunderkammern auch im-
mer dem rückwärtsgewandten Blick erscheinen mögen, ihr Anspruch ist klar
und eindeutig. Sie wollten Spiegel der Welt, macrocosmos in microcosmo
sein. Dieser Anspruch brauchte damals nicht sonderlich gerechtfertigt wer-
1 Bei diesem Text handelt es sich um die Abschlussvorlesung des Autors vom 8.7.2008, am
Erziehungswissenschaftlichen Institut der Humboldt Universität zu Berlin gehalten.
ESSAY