Baumann et al., Kollegiale Online-Fallberatung in inklusiv arbeitenden Lehrkräfteteams…
1. Theoretisch-empirischer Hintergrund
Theoretisch und empirisch gestützte Modelle zeigen, dass für das erfolgreiche Belastungs-
management im Lehrberuf das Verhältnis aus Anforderungen bzw. objektiven Belastungen und
Ressourcen entscheidend ist (Bakker & Demerouti, 2007). Sind nicht genügend Ressourcen
zur Bewältigung vorhanden, kann aus objektiven Belastungen ein subjektives Belastungserle-
ben resultieren, das wiederum negative Beanspruchung wie Burnoutsymptome (z.B. emotionale
Erschöpfung) bedingen kann (Bakker & Demerouti, 2007). Erhöhte negative Beanspruchung
manifestiert sich nicht nur in solchen personalen, sondern auch in beruflichen Folgen (Cramer,
Friedrich & Merk, 2018). [1]
Dass Lehrkräfte aufgrund der hohen Anforderungen eine belastete Berufsgruppe darstellen, ist
bereits seit einigen Jahren erforscht: So war im Rahmen der Potsdamer Lehrerstudie die Mehr-
heit der Lehrkräfte burnoutgefährdet (Schaarschmidt & Fischer, 2008). Einige Studien verwei-
sen zudem auf eine ungünstige gesundheitliche Situation der Lehrkräfte an Grundschulen
(Abelein & Hanglberger, 2018). Auch während der Corona-Pandemie scheinen Lehrkräfte ins-
gesamt (Hansen, Klusmann & Hanewinkel, 2020; Stang-Rabrig, Brüggemann, Lorenz &
McElvany, 2022) sowie insbesondere an Grundschulen (Robert Bosch Stiftung, 2022) wegen
der Anforderungsvielfalt hoch beansprucht gewesen zu sein. Durch zunehmend inklusive Set-
tings an (Grund-)Schulen aufgrund von gesellschaftlichen Transformationen (z.B. vermehrte
Fluchtmigration; Martschinke et al., 2020) wird die Schülerschaft seit einigen Jahren immer
heterogener. Dies hat Konsequenzen für das Beanspruchungserleben im Lehrberuf: Nach
Peperkorn und Horstmann (2019) werden über alle Schularten hinweg ungünstige Werte hin-
sichtlich der Gesundheitswahrnehmung im inklusiven Schulalltag berichtet. Damit verbundene
Aufgaben, wie multiprofessionelle Kooperation, fordern die Lehrenden heraus, zudem fühlt sich
eine Vielzahl dem Umgang mit der gestiegenen Heterogenität nicht gewachsen (forsa Politik-
und Sozialforschung GmbH, 2021). [2]
Soziale Ressourcen, wie Beziehungen zu Kolleg*innen (Rothland, 2013) und Schüler*innen
(Aldrup, Klusmann, Lüdtke, Göllner & Trautwein, 2018), zählen vor und während der Pandemie
(Hansen et al., 2020; Stang-Rabrig et al., 2022) zu den gesundheitsförderlichen Faktoren. Dies
gilt auch für die Lehrtätigkeit in zunehmend inklusiven Settings (Oetjen, Martschinke, Elting,
Baumann & Wissenbach, 2021). Zur Förderung sozialer Ressourcen und zur Reduktion der
Beanspruchung, z.B. in Form von Burnoutsymptomen, liegen im Lehrberuf positiv evaluierte
Trainingsprogramme vor (Schaarschmidt & Fischer, 2008). Jedoch handelt es sich dabei oft um
zeitintensive Angebote in Präsenz mit Anfahrtswegen, wobei diese Faktoren zentrale Teilnah-
mehindernisse darstellen können (Rank, Quante, Sroka & Munser-Kiefer, 2022). [3]
Kollegiale Fallberatung ist ein zeitlich ökonomisches, selbstgesteuertes, personenorientiertes
und wechselseitiges Beratungsformat im Gruppenmodus, bei dem ergebnisorientiert und sys-
tematisch ein beruflicher Fall eines Teilnehmenden („Fallgeber*in“) reflektiert und mit anderen
Teilnehmenden („Berater*innen“) Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden (Meißner, Semper,
Roth & Berkemeyer, 2018; Tietze, 2010). Dabei kommt kollegiale Fallberatung ohne externen
Coach aus, da ein*e Teilnehmer*in die Moderation übernimmt (Meißner et al., 2018; Tietze,
2010). Gelingensmerkmale von interprofessionellen Weiterbildungsangeboten wie eine Begeg-
nung der Teilnehmenden auf Augenhöhe und die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel
(Wesselborg, 2021) können dabei im Rahmen einer kollegialen Fallberatung in einem multipro-
fessionellen Team im inklusiven Schulalltag berücksichtigt werden. [4]
International scheint es das Format der kollegialen Fallberatung nicht in einer genauen Ent-
sprechung zu geben. Verwandte Konzepte in der Lehrkräftebildung finden sich unter den Begrif-
fen „teacher peer group facilitation“ (Allen, 2016), „collegial supervision“ (Mukhtara et al., 2020)
oder „peer consultation“ (Smith & Acheson, 1991). Enger verwandte Konzepte scheinen sich in
der Bildung von Gesundheitspersonal etabliert zu haben (Malin, 2007). Aufgrund der Unter-
schiedlichkeit in der Konzeption können keine internationalen empirischen Befunde zu den Ef-
fekten von kollegialer Fallberatung berichtet werden. Eine Studie von Steiner et al. (2022) zeigt
jedoch, dass der Zugang zu zumindest einer psychosozialen Unterstützung wie peer-support-