Egger & Abels, Lehramtsstudierende im Master analysieren inklusiven Naturwissenschaftsunterricht…
Bildungsgerechtigkeit eine Aufgabe von Bildungseinrichtungen. Die Participants of the
International Symposium on human rights and equality in STEM (2018) haben eine Erklärung
abgegeben, dass es ein Recht auf naturwissenschaftliche Bildung gibt, d. h. alle Lernenden
sollen von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren und an naturwissenschaftlichen
Diskursen partizipieren können. Zum einen ist es Aufgabe der Schulen, allen Lernenden direkt
und unmittelbar barrierearm eine naturwissenschaftliche Grundbildung zu ermöglichen (Bybee,
1997; Gräber & Nentwig, 2002; Hazelkorn et al., 2015; Markic & Abels, 2016; Stinken-Rösner
et al., 2020; Walkowiak, Rott, Abels & Nehring, 2018). Zum anderen ist es Aufgabe der Universi-
täten zukünftige Lehrpersonen für barrierearmes und potentialorientiertes Unterrichten zu pro-
fessionalisieren, über forschungsgeleitete Lehre Qualifizierungsprozesse zu optimieren und mit
aktuellen Erkenntnissen der (fachdidaktischen) Bildungsforschung zu verbinden (Abels &
Schütz, 2016; Amrhein & Reich, 2014). Der Universität kommt in ihrer Multiplikationsfunktion
somit eine Kernfunktion zu, Naturwissenschaftsdidaktik so zu gestalten, dass darin eine hetero-
gene Schüler*innenschaft mitgedacht und deren Diversität wertgeschätzt wird, also konkret
einen inklusiven naturwissenschaftlichen Unterricht anzustreben und zu kultivieren (Abels &
Schütz, 2016; Abels, 2019; Egger, Brauns, Sellin, Barth & Abels, 2019; Menthe, Hoffmann,
Nehring & Rott, 2015; Stinken-Rösner et al., 2020; Stroh, 2015). Die Fachdidaktiken sind ge-
fragt, inklusive Ansätze für die jeweiligen Fächer herauszuarbeiten. (Angehende) Fachlehrper-
sonen sollten Inklusion im Fach nicht als ‘Add-on’ vermittelt bekommen, sondern Kompetenzen
entwickeln, wie sie inklusiven (naturwissenschaftlichen) Unterricht planen, durchführen und
reflektieren können (Abels, 2019; Florian & Black-Hawkins, 2011). [1]
So liegt ein besonderer Fokus auf dem Entwickeln neuer universitärer Lehr-Lernkonzepte und
deren Begleitforschung, bei denen inklusiver Fachunterricht und dessen Vermittlung im Mittel-
punkt steht. Vor allem die professionelle Entwicklung von Lehrpersonenkompetenzen im For-
schungsfeld inklusiven naturwissenschaftlichen Unterrichts stellte lange Zeit ein Forschungs-
desiderat dar. Diesem widmete sich das vom BMBF geförderte Projekt Nawi-In –
Naturwissenschaftlichen Unterricht inklusiv gestalten (Förderkennzeichen: 01NV1731, Laufzeit
30.04.2018-30.09.2021) (Brauns, Egger & Abels, 2020; Brauns & Abels, 2020; Egger et al.,
2019). Im Rahmen des Projekts fand ein dreisemestriges Seminar statt, in dem Lehramtsstudie-
rende der Fächer Biologie und/oder Chemie im Masterstudium inklusiven naturwissenschaftli-
chen Unterricht planten, in der Praxisphase, einem fünfmonatigen Langzeitpraktikum, selbst
durchführten und videobasiert reflektierten (Abels, 2022; Brauns et al., 2020). Der professionel-
len Entwicklung beim Planen, Umsetzen und Reflektieren von Unterricht liegt u.a. die Fähigkeit
zu Grunde, wahrgenommene Unterrichtssituationen analysieren, d.h. mit fachlichem und fachdi-
daktischem Wissen verknüpfen zu können. Dabei wurden insgesamt drei Kohorten von Studie-
renden von den Forschenden begleitet. Über jeweils drei Erhebungszeitpunkte (pre, re und
post) wurde der jeweilige Entwicklungsstand der Studierendenkompetenzen durch die video-
basierte Reflexion fremden und eigenen Unterrichts und anhand von Fragebögen (Abels et al.,
2022) erhoben. Beforscht wurde über die ersten zwei Semester hinweg, ob und wie Studierende
Momente inklusiven naturwissenschaftlichen Unterrichts identifizieren und analysieren, um die
Antwort auf die Fragestellung zu finden, wie sich die Analysekompetenzen von Lehramtsstudier-
enden der Sekundarstufe I im Masterstudium in Bezug auf inklusiven naturwissenschaftlichen
Unterricht im Rahmen eines dreisemestrigen Projektseminars entwickeln. [2]
2. Videostimulierte Reflexion und Analysekompetenzen
Analysekompetenzen sind ein wichtiger Teil der professionellen Entwicklung und Handlungs-
kompetenz von (zukünftigen) Lehrpersonen (Krepf, 2019; Kunter et al., 2013; Munby, Russell &
Martin, 2001; Plöger & Scholl, 2014; Voss, Kunina-Habenicht, Hoehne & Kunter, 2015). Die
Kompetenz, fremden und/oder eigenen Unterricht analysieren zu können, also Situationen im
Unterricht wahrzunehmen und mit dem eigenen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen
Wissen verknüpfen und in dieses einordnen zu können, sind wichtige Fähigkeiten von Lehrper-
sonen (Krepf, 2019; Plöger & Scholl, 2014; Santagata & Guarino, 2011; Schwindt, 2008; Seidel
& Prenzel, 2008; Sherin & van Es, 2009; Stürmer, 2011). Das Konstrukt der Analysekompetenz
wird als Fähigkeit definiert, die Lernwirksamkeit des durchgeführten Unterrichts anhand des di-