
626 Thementeil
Andreas Krapp
Das Konzept der
grundlegenden psychologischen Bedürfnisse
Ein Erklärungsansatz für die positiven Effekte von Wohlbefinden
und intrinsischer Motivation im Lehr-Lerngeschehen
Zusammenfassung: Untersuchungen über den Einfluss von Wohlbefinden und intrinsischer Moti-
vation auf das Lernen liefern keine konsistenten Befunde. In diesem Beitrag wird die These vertre-
ten, dass mit einem nachhaltigen positiven Einfluss auf das Lernen nur dann zu rechnen ist, wenn
die mit Wohlbefinden und intrinsischer Motivation verbunden Erlebensqualitäten als Feedback
eines subbewusst agierenden Antriebs- und Steuerungssystems interpretiert werden können, welches
auf grundlegenden psychologischen Bedürfnissen (Basic Needs) beruht. Da über das Konzept der
Basic Needs und seine theoretische Begründung in den Motivationstheorien von Nuttin sowie Deci
und Ryan nur wenig bekannt ist, werden hier die zentralen Prämissen und die wichtigsten Argu-
mente vorgestellt, die in den beiden Theorien zur Begründung des Postulats der grundlegenden Be-
dürfnisse herangezogen werden. Dabei stellt sich heraus, dass die beiden Theorien in allen wesentli-
chen Punkten in hohem Maß übereinstimmen, obwohl sie weitgehend unabhängig voneinander
entstanden sind. Abschließend werden einige Schlussfolgerungen diskutiert, die sich daraus für die
Erklärung der differenziellen Wirkung von Wohlbefinden und intrinsischer Motivation ergeben.
1. Unter welchen Voraussetzungen haben Wohlbefinden
und intrinsische Motivation einen positiven Effekt auf das Lernen?
Sowohl in alltagspragmatischen als auch in vielen wissenschaftlichen Theorien geht
man davon aus, dass Wohlbefinden und intrinsische Motivation optimale Vorausset-
zungen des Lernens darstellen. Tatsächlich findet man eine große Zahl an empirischen
Untersuchungen, die einen eindeutig positiven Zusammenhang zwischen verschiedenen
Indikatoren des Wohlbefindens bzw. der intrinsischen Motivation und sowohl quantita-
tiven als auch qualitativen Kriterien des Lernerfolgs nachweisen (vgl. z.B. die zusam-
menfassenden Darstellungen bei Abele 1995; Abele/Becker 1991; Hascher 2004; Schiefe-
le/Schreyer 1994; Sansone/Harackiewicz 2000). Allerdings sind die Befunde keineswegs
so konsistent und homogen wie dies allgemein vermutet wird. In zahlreichen Untersu-
chungen findet man nur schwache oder statistisch nicht signifikante Zusammenhänge.
Die Heterogenität der empirischen Befunde ist natürlich zu einem gewissen Grad
darauf zurückzuführen, dass in den verschiedenen Forschungslinien und Untersu-
chungsansätzen unterschiedliche Methoden zur Operationalisierung der theoretischen
Konzepte und zur Überprüfung der postulierten Einflüsse eingesetzt werden. Wie auch
in anderen Forschungsfeldern ist deshalb schon allein aus diesem Grund mit einer er-
heblichen Varianz der Befundlage zu rechnen. Doch es gibt gute Gründe für die An-
nahme, dass die Inkonsistenz der empirischen Belege nicht allein oder primär mit den
unvermeidlichen Fehlerquellen empirischer Untersuchungsmethoden zu erklären ist,
sondern dass dafür auch theoretische Defizite verantwortlich sind.
Z.f.Päd – 51. Jahrgang 2005 – Heft 5